Marita Bleich mit Gitarre

Ein Gottesdienst für alle Sinne

Die Hausgottesdienste sind ein wichtiger Bestandteil des religiösen Lebens in Neuerkerode.

Hier und da haben Gottesdienste den Ruf, ein wenig angestaubt, gar langweilig zu sein. Wer jedoch einmal einen Gottesdienst in Neuerkerode miterlebt hat, weiß, dass das nicht stimmt. Dabei sind die Gottesdienste in der Peter-und-Paul-Kirche nicht die einzigen, die in dem inklusiven Dorf stattfinden. Denn auch wenn nicht alle Neuerkeröder Bürger:innen die Möglichkeit haben, die Gottesdienste in der Kirche zu besuchen, müssen sie dank Pfarrerin Marita Bleich nicht darauf verzichten. Können die Menschen nicht zu den Gottesdiensten kommen, bringt Marita Bleich die Gottesdienste eben zu ihnen.

Religionspädagogik lag der Pfarrerin schon immer. Nachdem sie in Braunlage ihr Viktariat machte und viele Jahre in Goslar und Wolfenbüttel-Linden arbeitete, gab sie auch Konfirmandenunterricht an einer Förderschule. „So wurde die Landeskirche auf mich aufmerksam, und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, in Neuerkerode zu arbeiten.“ Das konnte sie – und ist nun bereits seit November 2008 im Einsatz.

An diesem Mittag ist sie auf dem Weg zu einem Hausgottesdienst in der Tagesförderung (TGF) Sonnenschein. Mit dabei hat sie eine Kiste aus Metall, in der sich alles befindet, was sie für einen gelungenen Gottesdienst benötigt.

Marita Bleich Bürgerin

In der TGF wird sie schon freudig erwartet: Die Bürger:innen sitzen bereits voller Erwartung zusammen. Vorne steht ein Tisch. Ein Kreuz, Blumenstrauß, Kerze, Bibel sowie eine Klangschale – und schon hat er sich in einen Altar verwandelt.

Zu Beginn kommt die Klangschale zum Einsatz. Eine Mitarbeiterin der TGF geht mit ihr zu den einzelnen Bürger:innen. Jede:r von ihnen darf mit ihr den Gottesdienst einläuten. Dann holt Bleich ihre Gitarre hervor und ein Willkommenslied, in das die Namen der anwesenden Bürger:innen eingebaut werden, wird gesungen. „Auch den Menschen hier ist es wichtig, gesehen zu werden“, erklärt die Pfarrerin. „Ganz nach unserer Jahreslosung: ,Du bist ein Gott, der mich sieht‘.“

Klangschale Gottesdienst TGF Sonnenschein

Gemeinsam richtet die Gruppe den Blick auf den Altar. Was ist heute auf ihm zu finden? Was ist bekannt? Was neu? Marita Bleich nimmt das Kreuz in die Hand. „Das Kreuz erinnert uns an Jesus“, sagt eine Bürgerin. Das stimmt. Bleich fügt hinzu: „Außerdem erinnert es uns an all die Abschiede, die man irgendwann machen muss – aber auch an neues Leben. Schließlich ist Jesus auferstanden.“ Dann deutet sie auf den Blumenstrauß: „Dieser erinnert uns daran, dass Gott unsere Welt schön macht.“

Marita Bleich Kreuz und Bürgerin

Anschließend erzählt sie eine biblische Geschichte. Bleich erzählt sie frei und leicht verständlich. Die Bibel verwendet sie nur dazu, um auf die passenden Bilder zu zeigen. Es ist eine Bibel des Malers, Designers und Illustrators Kees de Kort. Die Personen, die in Kinderbibeln abgebildet sind, wirkten oft sehr kindlich. „Die Menschen hier sind aber keine Kinder“, sagt Bleich. Das sei anders bei de Kort. Er habe biblische Geschichten extra für Menschen mit Behinderung gestaltet. „Sie sind nicht kindlich, sondern so, wie das Leben ist. Ich fände es gut, wenn es noch mehr Materialien wie dieses geben würde“, wünscht sich die Pfarrerin. Passend zu der Geschichte von Petrus, der Jesus dreimal verleugnet, bevor der Hahn kräht, hat Bleich einen Plüschhahn mitgebracht, den sie durch die Reihen gibt. Das ist Kirche zum Anfassen.

Marita Bleich TGF Sonnenschein Plüschhahn

Das nächste Lied handelt von Emotionen. Unterstrichen wird die jeweilige Emotion von dem passenden Emoji, das Bleich als Bild emporhält. Es ist nur eines von vielen weiteren Liedern, die in dem Gottesdienst angestimmt werden. Neben kirchlichen Liedern sind auch immer wieder Volkstümliche dabei. Vor allem das Willkommenslied ist mittlerweile fester Bestandteil der Hausgottesdienste. Die Pfarrerin erklärt: „Ich wollte es auch schon einmal austauschen, aber dann habe ich gemerkt, wie sehr sich alle freuen, wenn sie etwas wiedererkennen.“

Marita Bleich Bild TGF Sonnenschein

Bilder kommen nicht nur bei den Liedern zum Einsatz. Beim Ratespiel hält sie – zur aktuellen Jahreszeit passende – Tierbilder hoch. Die Bürger:innen haben sichtlich Freude daran, sie zu erkennen. Die Stimmung wird noch einmal aufgelockert, bevor es wieder feierlich wird.

Alle werden gemeinsam still, bevor das Vaterunser gebetet wird. „Ohne das Vaterunser geht es einfach nicht. Darauf warten die Bürger:innen richtig“, weiß Marita Bleich. Den Segen verteilt sie während eines weiteren Liedes. Es ist an das Willkommenslied angelehnt und wieder sind die Namen der Bürger:innen eingebaut. Während jeder Strophe geht die Pfarrerin zu einer anderen Person, singt ihren Namen und legt die Hand auf. Jede Person in dem Raum soll sich gesehen und gewertschätzt fühlen, nicht nur von Marita Bleich, sondern auch von Gott.

Marita Bleich Segen TGF Sonnenschein

Nach ungefähr 45 Minuten ist der Gottesdienst beendet. Manche haben sich aktiver beteiligt, andere haben nur zugehört. Jede:r kann so viel geben wie er oder sie möchte oder kann. Jeden Monat bereitet Marita Bleich einen Gottesdienst vor, mit dem sie durch Neuerkerode zieht. Rund 15 Gottesdienste im Monat feiert sie so mit den verschiedenen Bürger:innen, im Sommer gerne auch mal unter freiem Himmel.

„Da nicht alle Menschen den Sonntagsgottesdienst besuchen können, ist dieses Angebot unglaublich wichtig“, betont Marita Bleich. Denn der Mensch sei mehr als nur ein Köper. Die Pfarrerin sagt. „Essen, Trinken und Hygiene sind nicht alles. Menschen sehnen sich nach Spiritualität. Und da sind die Hausgottesdienste ein wichtiger Bestandteil, um allen einen religiösen Austausch zu ermöglichen.“

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