Der Ablösungsprozess vom Elternhaus stellt sowohl für die Kinder als auch für die Eltern einen wichtigen Entwicklungsschritt in der familiären Beziehung dar. Er erfordert Mut, (Selbst-)Vertrauen und die Bereitschaft, eigene Wege zu gehen – insbesondere bei Familien mit zu betreuenden und pflegenden Kindern. Im Bereich der Eingliederungshilfe kann er zu einer größeren Herausforderung werden. Familie Winter ist diesen Schritt gegangen und hat – mit der Unterstützung der Neuerkeröder Wohnen und Betreuen GmbH (WuB) – eine gute Lösung für ihr Kind Nele gefunden.
Die Ausnahmesituation beginnt für die Familien oft schon damit, dass die bürokratische Maschine bereits anläuft, der Auszug emotional aber noch in weiter Ferne liegt. Zunächst steht in den meisten Fällen eine intensive Suche nach einer passenden Einrichtung im Fokus, gekoppelt mit Behördengängen, Telefonaten und Anträgen. Zusätzlich drückt der eigene emotionale Rucksack bei jedem Schritt: Veränderungsängste, die neu zu ordnende Beziehung zwischen Eltern und Kind. Viele weitere Sorgen und Nöte spielen in diesen Lebensabschnitt hinein.
Stadt oder Land?
Familie Winter hat versucht, pragmatisch zu bleiben: „Wir haben uns verschiedene Wohnangebote angesehen, in der Stadt und auf dem Land. Aber gerade, weil wir aus dem ländlichen Raum kommen, hatten wir von dem dörflichen Charakter Neuerkerodes gleich ein gutes Gefühl für Nele. Natürlich immer unter der Voraussetzung, dass es ihr auch gefällt. Und das hat es zum Glück auch“, so Vater Marc-Anton Winter. Den emotionalen Ballast, den so eine Veränderung mit sich bringt, abzuschütteln, ist dennoch nicht ganz einfach. „Als Elternteil hat man ganz bestimmte Vorstellungen und Wünsche für sein Kind und denkt, dass niemand das eigene Kind so gut betreuen kann wie man selbst“, ergänzt Mutter Nathalie Winter. Dennoch müsse man sich im Klaren darüber sein, dass diese Vorstellungen und Eindrücke nicht unbedingt die des Kindes seien und andere Sichtweisen viel wichtiger und entscheidender für die Entwicklung sind. „Es hätte zum Beispiel auch ein alternatives, ortsnahes Angebot für Nele gegeben, bei dem sie morgens in der Beschäftigung und nachmittags zu Hause gewesen wäre. Als Eltern hätten wir mehr von ihr gehabt, aber sie selbst hätte vermutlich unter den wenigen Kontakten gelitten und der Abnabelungsprozess vom Elternhaus hätte sich damit erheblich erschwert“, so Nathalie Winter.
Unterstützt und begleitet wurde die Familie von der Neuerkeröder Wohnen und Betreuen, im Speziellen von Jane Rinne, die dort für das Aufnahmemanagement zuständig ist. Schon seit Längerem habe Nele laut Rinne an Aktivitäten des zur WuB gehörenden Familienentlastenden Dienstes, etwa an Freizeiten und Tagesaktionen, teilgenommen. Dabei sei Nele auch schon mal ein paar Tage ohne Mama, Papa und ältere Schwester ausgekommen.
"Diese Vorarbeit zu Hause ist ganz wichtig, in dem man positiv über die Veränderungen spricht."
Nathalie Winter - Mutter
Den Umzug planen
Später, beim Probewohnen in Neuerkerode, dem Auftakt in der Wohngruppe im Weidenweg, habe es Hilfestellung durch die Wohnbereichsleitung und das Aufnahmemanagement geben. „Wir haben Nele im Vorfeld des Probewohnens immer wieder darauf angesprochen, dass ein Umbruch und Umzug stattfindet, damit sie sich vorbereiten konnte. Diese Vorarbeit zu Hause ist ganz wichtig, in dem man positiv über die Veränderungen spricht“, so die Mutter. Bei der Eingewöhnung halfen alle mit, Nathalie und Marc-Anton Winter kümmerten sich liebevoll um die Einrichtung des Zimmers. „Wir haben ganz viel aus ihrem Zimmer mitgenommen, zum Beispiel die geliebte Bettwäsche mit Pferdemotiven, ihren gemütlichen Sessel sowie den Schreibtisch mit ihrem Lieblingsdrehstuhl“, so Marc-Anton Winter. Vor dem Probewohnen habe Nele zudem ein zweiwöchiges Schulpraktikum in der Tagesförderung absolviert und bereits viel vom Dorf und der Arbeit kennengelernt, fügt Jane Rinne an. Um den ersten Trennungsschmerz zu überwinden, half auch die Wohngruppe mit: „Damit der Ablösungsprozess sich einfacher gestaltet, haben wir erst einmal die Besuche nach dem Auszug eng getaktet und dann in den folgenden Wochen immer weiter gedehnt. Das hat gut funktioniert“, erinnert sich Mitarbeiterin Michaela Paul.
Angekommen
Mittlerweile ist seit dem Einzug etwas mehr als ein Jahr vergangen und Nele, ihre Eltern und ihre Bezugsmitarbeitenden ziehen ein positives Fazit. „Der Schritt, hier in die Wohngruppe Weidenweg nach Neuerkerode zu ziehen, war für Nele der richtige“, sind die Eltern überzeugt. Sie hat ihren eigenen Wohnbereich, neue Freunde und Kontakte in und außerhalb der Wohngruppe gefunden und geht einer geregelten Beschäftigung in der Tagesförderung nach. Sie lebt ein weitgehend autonomes, für ihr Alter passendes Leben und ist glücklich.
Die Neuerkeröder Wohnen und Betreuen GmbH hat Räume geschaffen, in denen Menschen mit Behinderungen die Welt zu ihrer machen können. Die eigene Wohnung ist der Ausgangspunkt für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und somit ein Erfahrungsfeld für das soziale Miteinander. Hierbei spielt nicht nur die Wohnung selbst, sondern auch ihre Umgebung mit den sich ergebenden Handlungsmöglichkeiten und -grenzen eine wichtige Rolle.
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Text: Thomas Pöllmann // Fotos: Sara Uhde