„Den Absprung von den Drogen hätte ich ohne Subutex nie geschafft“, sagt Doreen über das Medikament, das sie seit 16 Jahren nimmt. Subutex ist eine ärztlich verschriebene Ersatzdroge. Ein Medikament, das Suchtkranke unter bestimmten Bedingungen verabreicht bekommen, um den Entzug zu erleichtern und das Verlangen nach Heroin, Kokain, Pillen oder anderen Drogen zu verringern.
Lebensbrüche
„Hausfrau sein, eine Familie gründen, ein kleines Reihenhäuschen mit Garten – als ich jung war, hatte ich mir so ein ganz klassisches Leben vorgestellt“, sagt die 59-Jährige. Aber es kam anders. Ihre Geschichte hat viele Aufs und Abs. „Niemand nimmt völlig ohne Grund Drogen“, sagt sie. Doreen redet schnell. Es ist nicht immer leicht, ihr zu folgen. Ihre Stimme ist heiser und manchmal brüchig, wie so vieles, was sie erlebt hat. Sie erzählt von einer Kindheit und Dingen, die nicht passieren dürfen, es damals doch sind und zu denen geschwiegen wurde. „Was bei uns drinnen passierte, ging draußen niemanden etwas an.“ Manchmal huscht ein unsicheres Lächeln über ihr Gesicht. Eine weiche Seele, lange versteckt, die erst in den vergangenen Jahren langsam wieder ans Tageslicht kommt.
Von null auf hundert
Mit den Drogen habe sie spät, mit 25 Jahren, angefangen, sagt Doreen. „Dann aber von null auf hundert.“ Ihr damaliger Freund dealte mit Heroin. Erst verpackte sie die Drogen für ihn, dann probierte sie selbst. „Ich war sechs Jahre voll drauf, ohne dass es jemand gemerkt hat.“ Die gelernte Industriekauffrau machte in dieser Zeit sogar eine Umschulung zur Kosmetikerin. Es ist auch die Zeit, in der ihr erstes Kind zur Welt kommt. Als ihr damaliger Freund verhaftet wird, fängt sie selbst an, in der Szene zu verkaufen. „Das war lange Zeit ein Leben am Limit“, beschreibt es Lukasz Pobieda aus dem Café Clara. Doreen kennt den Sozialarbeiter gut und ist ihm heute „unendlich dankbar“. Doch bis zu dieser Erkenntnis vergehen noch viele Jahre. Jahre, in denen sie „mit den ganz Großen mitmischt“, sagt Pobieda. Jahre, in denen sie mit Heroin dealt und selber konsumiert, in denen sie mit Schlägertypen „alles wegprügelt“, per Haftbefehl gesucht wird, nach Gran Canaria abhaut und irgendwann doch im Gefängnis landet.
Rückhalt
Doch vor der Haft ist nach der Haft. „Ich weiß nicht, wie oft ich immer wieder in die Drogenszene reingerutscht bin.“ Zu oft sei sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen – bis erneut eine Gefängnisstrafe im Raum steht. Doreens Glück: Ihre Familie, Kinder und Enkelkinder, die ihr Rückhalt geben und die sie anspornen. „Ich hatte wirklich Angst, dass ich meine Familie nach einer weiteren Haftstrafe nicht wiedersehen werde.“
Therapie statt Gefängnis
Doreen kann anstelle einer Gefängnisstrafe eine stationäre Therapie machen. „Vorher dachte ich immer, ich brauche keine Entgiftung. Aber diesmal habe ich es ernst genommen.“ Und Doreen schafft es – auch dank einer Freundin, die sie aus der ersten Haftstrafe kennt, die mit Drogen nichts zu tun hat und die sie zum Lukas-Werk nach Wolfenbüttel bringt. Im Anschluss an die Entgiftung macht sie dort eine ambulante Therapie und nimmt die Substitutionsbehandlung in Anspruch. Täglich muss sie nach Wolfenbüttel kommen, um eine Ersatzdroge zu erhalten – egal, ob Weihnachten ist, die Hochzeit eines ihrer Kinder oder die Einschulung eines Enkelkindes ansteht. „Das hat mich einerseits natürlich eingeschränkt, weil ein Urlaub oder längere Abwesenheiten fast unmöglich waren. Aber es hat mir auch eine feste Struktur gegeben.“
Hilfe annehmen
Doreen baut sich ein Leben außerhalb der Drogenszene auf. Seit viereinhalb Jahren bekommt sie nun eine Depotspritze, durch die das Subutex bis zu neun Wochen im Körper wirkt. „Ganz ohne würde ich nicht schaffen“, ist sich Doreen sicher. Nicht jeder Tag sei einfach für sie. „Aber ich weiß, dass ich Hilfe bekomme, durch meine Familie, meine Freunde und hier im Lukas-Werk. Und das Wichtigste: Inzwischen kann ich diese Hilfe auch annehmen.“
Bei einer Substitutionstherapie werden Menschen mit einer Suchterkrankung durch die Einnahme von Ersatzstoffen wie Methadon, Subutex oder Buprenorphin unterstützt. Früher war diese Therapie zeitlich begrenzt, doch nach einer Gesetzesnovellierung kann sie dauerhaft in Anspruch genommen werden. Dies ermöglicht den Betroffenen eine langfristige Stabilisierung und bessere Integration in die Gesellschaft. Die Novellierung soll somit dazu beitragen, dass Suchtkranke eine nachhaltige Unterstützung erhalten und ihre Lebensqualität verbessert wird.
Text: Petra Neu // Fotos: Bernhard Janitschke