Es gibt diese typischen Sätze, die Melanie Wedler immer wieder von Bekannten hört, wenn es um ihren Job geht: „Toll, dass du diese Arbeit machst. Aber ich könnte es nicht.“ Das findet Wedler schade. Sie sagt: „Der Tod gehört nun mal zum Leben dazu. Er sollte kein Tabu sein.“
Die spezialisierte ambulante palliative Versorgung (SAPV) versorgt Menschen, die unheilbar krank sind. Wedler ist ausgebildete Altenpflegerin, hat eine Palliativausbildung gemacht und arbeitet bei der SAPV. „Ich wollte Sterbenden etwas von ihrer Angst und von ihrem Leid nehmen“, erklärt sie ihre Beweggründe. „Schließlich will ich selbst auch einmal ohne Angst sterben.“ Die SAPV ermöglicht unheilbar kranken Menschen ein eben in ihrer vertrauten Umgebung – trotz Problemen wie teilweise schwer therapierbaren Schmerzen oder Angst- und Panikzuständen. Melanie Wedler begleitet sie auf ihrem letzten, oft nicht leichten Weg, ermöglicht ihnen Lebensqualität und Selbstbestimmung. „Es ist einfach die beste Arbeit, die es gibt“, betont sie. „Die zwei wichtigsten Stellen im Leben eines Menschen sind die Geburt und der Tod. Und an Letzterer darf ich unterstützen.“
24 Stunden am Tag
Der Arbeitstag beginnt mit einer Besprechung. Im Team der SAPV der Diakoniestationen Harz-Heide sind sieben Mitarbeitende, die rund 60 Menschen versorgen. Die SAPV ist 24 Stunden am Tag für die Patienten erreichbar. Da sind gute Absprachen wichtig. Wer hat welche Medikamente bekommen? Wessen Zustand hat sich verbessert oder verschlechtert? Wer hat Angst vor dem Sterben? Wer nicht? Brauchen die Angehörigen Unterstützung? Es sind Dinge, die sich innerhalb weniger Stunden ändern können. Trotz der schwierigen Themen ist die Stimmung im Team gut, es wird viel gelacht. „Ohne Humor kann man diesen Job nicht machen“, sagt Wedler. Doch das Mitgefühl des Teams für die Patienten ist in jedem Satz spürbar. Wir sind dabei, wenn Geschichten zu Ende gehen. Das Buch ist mal dicker und mal dünner – deswegen ja nicht besser oder schlechter.
Unterwegs
An diesem Tag fährt Melanie Wedler zu sechs Patienten. Sie parkt immer ein paar Meter entfernt, selten direkt vor der Haustür. „So kann ich mich sammeln und auf den jeweiligen Menschen einstellen“, erzählt sie. Die erste Frau, die sie besucht, hat große Angst vor dem Sterben. Sie liegt im Bett, kann sich nur noch durch Mimik und Geräusche verständigen. Doch als sie Melanie erkennt, lächelt sie. Diese setzt sich an das Bett, hält ihre Hand, streichelt ihr über den Kopf, spricht ihr liebevoll Mut zu. Sie kümmert sich nicht nur um die Patienten und Patientinnen. Auch die Angehörigen hat sie im Blick. Die sind sichtlich am Ende ihrer Kräfte. „Haben Sie heute schon etwas gegessen? Konnten Sie schlafen?“, erkundigt sich Melanie Wedler, während sie die Medikamente vorbereitet.
Zur Sorge der Angehörigen und Wedlers zeigen die Medikamente bei dieser Patientin nicht die erwartete Wirkung, zu groß ist ihre Angst vor dem Sterben. Am Abend wird Wedler gemeinsam mit dem Arzt der SAPV wiederkommen, entscheidet sie spontan.
Die Entscheidungen, die die Mitarbeitenden der SAPV treffen müssen, können durchaus schwierig sein. Verabreicht man ein Medikament, das die Schmerzen lindert, das aber dafür sorgt, dass man vielleicht nicht mehr so gut ansprechbar ist? Hier muss immer individuell entschieden werden, Rücksprachen mit Kollegen und dem Arzt helfen dabei. Der jüngste Patient, den Melanie Wedler begleitet hat, war 28 Jahre alt.
„Wir sind dabei, wenn Geschichten zu Ende gehen. Das Buch ist mal dicker und mal dünner – aber deswegen ja nicht besser oder schlechter.“
Dabei gehe einem die Arbeit selbstverständlich auch oft nahe, man könne sie nicht rein professionell sehen, sonst würde das Menschliche verloren gehen. Mit steigendem Alter, wenn man sich selbst mit seiner eigenen Endlichkeit konfrontiert sähe, werde es nicht einfacher. Die nächste Patientin ist noch ziemlich fit. Über den Tod wird hier nicht gesprochen. „Manche wollen ihr baldiges Ende selbst noch nicht wahrhaben“, erklärt Wedler. Mit dieser Patientin ist der Ton ein anderer, es wird sich über die Tagesplanung und das Abendessen ausgetauscht – und viel gelacht. Melanie Wedler hat ein feines Gespür für die Menschen. Manche begleitet sie über Jahre, andere nur einen Tag. „Die, die sich früh an uns wenden, können wir natürlich besser kennenlernen und intensiver begleiten“, erzählt sie.
Vertrautheit
Eine der Patientinnen, die Melanie Wedler an diesem Tag versorgt, kennt sie schon eine ganze Weile. Es wirkt, als würden alte Freundinnen sich treffen. Sie scherzen, während Wedler sich um einen Beutel kümmert, in den Flüssigkeit aus der Lunge der Patientin abgelassen wird. Sie freut sich sichtlich über den Besuch. „Das erleichtert mein Leben ungemein. Ich fühle mich extrem gut aufgehoben und bekomme vor allem auch moralische Unterstützung“, sagt die Patientin. Und Melanie Wedler freut sich, dass sie helfen kann.
Text: Lukas Dörfler // Fotos: Bernhard Janitschke
Begleitung in der letzten Lebensphase
Das Team der Spezialisierten ambulanten palliativen Versorgung (SAPV) ermöglicht unheilbar kranken Menschen ein Leben in ihrer vertrauten Umgebung.