Dankbarkeit und Freude statt Stolz

– Glauben –

Bei einem Gespräch zwischen Marita Bleich und Heike Heckmann zeigt sich: Stolz sein fällt den beiden schwer. Doch warum eigentlich?

Es ist ein sonniger, schwüler Nachmittag, als Marita Bleich und Heike Heckmann sich zum Gespräch treffen. Ihre Begrüßung ist herzlich. Sie verstehen sich gut, vertreten die gleichen Werte, sind in ihrem Glauben verbunden – und sehen sich eigentlich viel zu selten. Bleich ist Pfarrerin in Neuerkerode, Heckmann Seelsorgerin und Leitung des Kirchlichen Dienstes am Marienstift. Arbeitstitel des Gespräches ist – passend zum Thema dieser Neuerkeröder Blätter – „Stolz sein auf die kleinen Dinge“. Eigentlich können beide lange über Themen aus dem Stand predigen. Doch sobald das Wort „Stolz“ fällt, zeigt sich: Diesmal ist es anders.

Mit dem Wort fühlen sich beide nicht so ganz wohl. Und das hat seinen Grund.

Bleich: Wenn ich über Stolz nachdenke, verspüre ich eine Blockade. Warum das so ist? Nun ja, ich bin Theologin und verbinde mit dem Begriff Stolz zunächst einmal eine der sieben Todsünden der christlichen Glaubenslehre, also eines der sieben Hauptlaster, die man meiden sollte.

Heckmann: Auch bei der Frage nach „Stolz sein auf die kleinen Dinge“ sieht das bei mir ähnlich aus. Da kommt bei mir gleich die Frage auf: Bin ich selbst zuständig dafür, dass ich auf etwas stolz sein kann? Ersetze ich das Wort Stolz jedoch mit Dankbarkeit und Freude, fällt mir das wesentlich leichter.

Bleich: Mit diesen Begriffen kann ich auch besser umgehen.

Stolz kann auch egoistisch sein, Freude und Dankbarkeit beziehen sich hingegen oft eher auf andere.

Was Gott uns gegeben hat

Heckmann: Stolz hört sich so wertig an. Doch das, was ich kann, kommt nicht aus mir selbst, sondern ist in Gott begründet. Ich bin also nicht stolz auf mich, sondern eher auf Gott. Darauf, dass er jedem von uns gewisse Gaben gegeben hat – und das sind nicht nur die großen, offensichtlichen Dinge. Es sind oft die kleinen Dinge, die Gott geschaffen hat, die uns glücklich machen: ein Ausflug in die Natur oder ein freundliches Lachen.

Bleich: Das stimmt absolut und doch vergisst man es so schnell. In Neuerkerode haben mich die Menschen gelehrt, achtsamer auf diese kleinen Dinge zu blicken. Hier freut man sich beispielsweise schon drei Wochen im Voraus auf seinen Geburtstag – und nicht wegen der Geschenke, sondern über die Liebe und Aufmerksamkeit, die man an diesem Tag noch einmal offensichtlicher erleben kann. Auch eine Portion Pommes, eine Currywurst oder ein nettes Gespräch sind hier Grund zur Freude.

Größer als wir selbst

Heckmann: Ich mache in meiner Arbeit ähnliche Erfahrungen. Sich als Mensch gesehen zu fühlen, ist unglaublich wichtig. Komme ich an das Bett eines Kranken, freut er sich darüber – über die Zuneigung oder auch einfach meinen schönen, bunten Schal oder über eine kleine mitgebrachte Blume. Und das erfüllt mich wiederum mit Freude.

Da zu sein, ist eben einfach manchmal schon genug. Kleine Dinge, die aber letztlich größer sind als wir selbst.

Bleich: Genau solche Dinge kommen bei den Menschen an und machen den Unterschied. Auch bei schwerstmehrfachbehinderten Menschen, bei denen manchmal nicht klar ist, wie viel sie mitbekommen, merkt man, dass Zuneigung und menschliche Wärme plötzlich ein Lächeln über das Gesicht huschen lassen. Gott wirkt da, wo ich ihn nicht vermute – wo es auch mal nur auf ein Wort ankommt.

Stolz sein auf andere

Geht es um Dankbarkeit und Freude, fällt Heckmann und Bleich das Reden leicht. Doch diese Begriffe bedeuten letztlich etwas anderes als Stolz. Wollen sie es nicht doch noch einmal mit diesem Begriff probieren? Und zwar nicht in Bezug auf die Todsünde, den Hochmut, sondern über den Stolz im Kleinen?

Bleich: Stolz begegnet einem in Neuerkerode überall. Die Neuerkeröder sind oft stolz, gerade auch auf die kleinen Dinge.

Heckmann: Auch Pflegekräfte können stolz auf sich sein, wenn sie selbst in stressigen Situationen liebevoll und wertschätzend mit den ihnen anvertrauten Menschen umgehen. In unseren beiden Seniorenzentren Bethanien und St. Vinzenz begegnen mir auch immer wieder Bewohner, die stolz darauf sind, was sie alles doch noch tun können.

Bleich: Zudem kann man ja auch stolz darauf sein, was andere können – oder gerade neu gelernt haben. Stolz auf mich selbst sein, fällt mir wirklich schwer. Leichter fällt es mir jedoch zu sagen, dass ich stolz auf andere bin – oder stolz auf uns. Beispielsweise haben wir es in Neuerkerode gemeinsam hinbekommen, nach Corona die Präsenzgottesdienste wieder schnell stattfinden zu lassen. In Neuerkerode bin ich außerdem stolz auf unsere Trauerkultur. Wir haben hier noch Aussegnungen, nehmen in Ruhe und Würde Abschied und für verstorbene Bürger gibt es einen Nachruf. Das Würdevolle betrifft hier nicht nur das Leben, sondern auch den Tod. Solche Dinge dürfen uns nicht verloren gehen.

Heckmann: Das kann ich für das Marienstift nur bestätigen. Hier wird ja gerade die Friedenskapelle – unser Zentrum Würde – saniert. Bei dessen Angeboten steht die Würde des Menschen im Mittelpunkt der Begegnung. An unserem eigenen Standort sowie auch an weiteren können Menschen, die in der Begleitung Kranker, Sterbender und Trauernder sind, Hilfe erfahren. Ebenso richten sich die Angebote auch an diejenigen, die Kraft tanken oder kreativ für andere unterwegs sein möchten. Die Grundlage für die christlich diakonische Arbeit in Würde baut nicht zuletzt auch auf der Arbeit unserer Diakonissen hier am Marienstift auf. Ein würdevoller und christlicher Umgang mit Menschen ist etwas ganz Besonderes und heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Darauf, dass die christlichen Werte in unserem Unternehmen auch heute noch ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit sind, können wir wirklich stolz sein.

Text: Lukas Dörfler // Fotos: Bernhard Janitschke

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