Ein Chor wie kein anderer

– Musik –

Der Posaunenchor Neuerkerode ist der älteste der Landeskirche Braunschweig. Und vielleicht auch der einzigartigste.

Feierlich, fast schon erhaben, schallt die Musik des Posaunenchors Neuerkerode aus der Kirche hinaus ins Dorf. Das tut sie regelmäßig und nicht erst seit gestern: Die Bläsergruppe gibt es schon seit 146 Jahren – und somit fast so lange wie die Evangelische Stiftung Neuerkerode selbst, deren Ursprung 155 Jahre zurückliegt. Damit ist der Posaunenchor Neuerkerode der älteste der Landeskirche Braunschweig. So alt und dann auch noch Blasmusik – das klingt ganz schön spießig, oder? Keinesfalls! Zumindest nicht in Neuerkerode. „Angestaubt ist bei uns überhaupt nichts. Es gibt bei uns neben der Kirchenmusik auch Spirituals und Pop- oder Filmmusik. Auch swingenden Jazz haben wir schon in der Kirche gespielt“, erklärt Chorleiter Martin Brandes. „Uns sind mittlerweile keine Grenzen mehr gesetzt.“ Brandes hat in der Musikschule in Goslar gelernt, schon mit 18 oder 19 Jahren angefangen zu unterrichten, außerdem Musiklehramt studiert und in mehreren Bands Posaune und Trompete gespielt.

Die Leitung des Neuerkeröder Posaunenchors übernahm er 1989. Angefragt hatte ihn der damalige Landesposaunenwart, der die Leitung interimsweise übernommen hatte. „Zuvor hatte ich keine Berührungspunkte mit Choralmusik, bin da aber schnell reingewachsen“, erzählt der Braunschweiger. Mittlerweile möchte er die Arbeit als Chorleiter nicht mehr missen. „Das ist die Tätigkeit in meiner musikalischen Laufbahn, die mir am meisten ans Herz gewachsen ist“, sagt Brandes. „Ich mache die Chorleitung seit 34 Jahren – und sie ist zu meiner Berufung geworden.“ Anteil an der Begeisterung für den Posaunenchor hat nicht zuletzt Neuerkerode selbst. Oder genauer gesagt: die Bürgerinnen und Bürger Neuerkerodes.

Ein einzigartiger Ort

„Dieses Dorf ist unvergleichlich. Die Gottesdienste sind enorm lebendig“, so der Musiker. Es gebe schon beim Vorspiel immer mal wieder Szenenapplaus. Und auch Unmutsäußerungen fänden manchmal lautstark statt. „Das ist super. So etwas gibt es sonst nirgends“, ist sich Brandes sicher. Der Chor besteht derzeit aus zehn Musikern. Neue Mitglieder sind immer gern gesehen – auch ohne Erfahrung, denn Brandes weiß ja, wie man Musik lehrt. Wöchentlich treffen sie sich in Kirchen im Umkreis, um für ihre Auftritte zu proben. Rund ein Dutzend Gottesdienste und Auftritte haben sie im Jahr allein in Neuerkerode, zusätzlich treten sie im Umland auf. Weitere Bezugsorte des Chors sind das Krankenhaus Marienstift und das Senioren- und Pflegezentrum Bethanien in Braunschweig. Hier wurden beispielsweise Beerdigungen der in den vergangenen Jahren verstorbenen Diakonissen musikalisch begleitet. Brandes sagt: „Solche besonderen Anlässe sind uns ein Anliegen.“



Vom Musiker zum Mitarbeiter

Einer der beiden esn-Mitarbeiter in der Gruppe ist Felix Rohlfs. Er ist nicht Teil des Chors, weil er bei der esn arbeitet. In Wahrheit ist es genau umgekehrt. 1988 lernt er in der siebten Klasse der Gaußschule in Braunschweig das Posaunespielen. Auf der Suche nach einem Chor stößt er 1991 auf den Posaunenchor Neuerkerode. „Das war mein erster Kontakt in das Inklusionsdorf“, erinnert er sich. „Ich fand es so schön hier, dass ich auch meinen Zivildienst in Neuerkerode gemacht habe und während des Studiums in den Semesterferien im Dorf gejobbt habe.“ Nach 20 Jahren in Frankfurt kommt er zurück, steigt in das Controlling der esn ein. Er sagt: „Ohne den Chor wäre das wahrscheinlich nicht so gekommen.“ Der Chor und das Dorf gehören für ihn zusammen.

"Man gibt beim Spielen viel und bekommt noch mehr zurück."

Das kann auch Brandes bestätigen. „Wenn wir musizieren, erreichen wir Menschen, spenden entweder Trost oder Freude“, fasst es der Chorleiter zusammen. „Und die Menschen wissen gar nicht, dass die Emotionen in ihren Gesichtern uns so viel mehr bedeuten, als wir ihnen jemals von der Bühne aus geben könnten.“

Text und Video: Lukas Dörfler // Fotos: Bernhard Janitschke / Archiv esn

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