Selfmade

– In Process –

Wie können wir helfen, die Fähigkeiten von Menschen zu verbessern? Wie dazu beitragen, dass sie sich weiterentwickeln? Teilhabe ermöglichen und sinnstiftende Beschäftigungen anbieten? Um Fragen wie diese geht es unter anderem auf dem Kuba Bildungscampus in Wolfenbüttel sowie in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Rautheim (beides Mehrwerk gGmbH) und in den verschiedenen Angeboten der Tagesförderung in Neuerkerode (Wohnen und Betreuen GmbH). In unserer Fotostrecke möchten wir Ihnen beispielhaft zeigen, wie das gelingt – und dass sich daraus ganz unterschiedliche Produkte und Beschäftigungsformen ergeben. Egal, ob Gartenmöbel aus alten Ölfässern, höhenverstellbare Schreibtische, Kerzenständer, Betonfliesen, Gemüse, Eier, Apfelsaft, Trödel oder einzigartige Kunstwerke – Sie dürfen gern ins Schwärmen geraten.

Stilles oder lautes Wasser?

Harz-Wasser, gefiltert und teilweise mit Kohlensäure versetzt. Abgefüllt in verschieden große Glasflaschen, die passgenau unter die Abfüllung gestellt, bei denen Deckel angebracht und die in Kisten einsortiert werden müssen. An allen Handgriffen sind Neuerkeröder im Rahmen der Tagesförderung (TGF) „Einfach Wasser“ beteiligt. Sind alle Kisten auf den Handwagen geladen, geht es damit durch das Dorf zur Auslieferung. Welche Route nehmen wir? Wo können wir Leergut wieder mitnehmen? Wer gibt eine neue Bestellung auf? Auch darum kümmern sich die Beschäftigten der TGF Wasser. „Für sie ist es ein gutes Gefühl zu merken: Ich trage etwas dazu bei, dass die Versorgung in Neuerkerode funktioniert und dass wir keine Plastikflaschen mehr extern einkaufen müssen“, erklärt Bettina Meindel, die als Heilerziehungspflegerin die Menschen in der TGF anleitet. „Und darauf dürfen sie durchaus stolz sein.“

Vom Campus in die Kita

Dieser detailverliebte Bauernhof ist im Förderzentrum auf dem Kuba-Bildungscampus entstanden. Im Förderzentrum arbeitet Fachanleiter Kai Giraudo mit Menschen, die Leistungen des Jobcenters Wolfenbüttels beziehen. „Wir schauen, wo Stärken sind, in welchen Bereichen wir besonders fördern können und wollen dabei auch eine realistische Arbeitsmarktnähe herstellen.“ Bei dem gelernten Zimmermann Giraudo geht es viel um Arbeiten mit Holz und Farbe. „Dabei merken die Teilnehmenden immer wieder: Ich kann das. Ich habe Kompetenzen. Das gibt ihnen Selbstvertrauen.“ Aus einem aufwendigen Modell eines Fachwerkhauses mit Dachstuhl entstand schließlich der Bauernhof. „Wir haben entschieden, dass der Bauernhof nun als Spende an den Kindergarten in Neuerkerode gehen soll.“

Wunderbares Wirken

"Hier geht es immer ein wenig kreativer zu als in einer normalen Werkstatt“, sagt Benedikt Binder, Fachanleiter der Jugendwerkstatt Tischlerei in Wolfenbüttel. Denn junge Menschen seien oft eher für schöne als für harte Arbeiten zu begeistern, sagt er lächelnd. In die Jugendwerkstatt kommen Teenager und junge Erwachsene mit besonderem Unterstützungsbedarf, mit denen Binder und seine Kollegen neue Lebens- und Arbeitsperspektiven erarbeiten. Besonders zu begeistern sind die Jugendlichen derzeit für Spritzbilder aus einer selbst gebauten Farbschleuder. „Da entstehen optisch tolle Werke. Teil einer solchen einzigartigen Sache zu sein – das ist etwas, das viele unserer Beschäftigten so nicht kennen. Es ist schön, ihnen durch unsere Arbeit ein solches Gefühl mitgeben zu können.“

Beton kann so schön sein

Was brauche ich, um aus diesem grauen Pulver eine Betonmasse zu machen? Wie viel Wasser ist nötig? In welchem Gefäß mische ich alles an? Und wie wird Beton eigentlich farbig? Mit Fragen wie diesen beschäftigen sich Katrin Kozlowski und ihre Kollegen, wenn sie mit Neuerkerödern in der TGF Ginsterweg in Neuerkerode arbeiten. „Es geht nicht um Serienproduktion, sondern um Konzentration und Ausdauer, darum, viele kleine Arbeitsschritte kennenzulernen und zu verstehen“, sagt Kozlowski. Dass am Ende ganz wundervolle Produkte, überwiegend aus Beton, entstehen: fast Nebensache. Darunter südeuropäisch anmutende Deko- Fliesen, Schälchen, Kerzenständer. „Wenn wir die Produkte zum Beispiel auf dem Weihnachtsmarkt in Neuerkerode verkaufen, freuen sich die Bürger, weil sie ihren Angehörigen zeigen können: Schau mal – das mache ich bei meiner Arbeit.“

Langeweile? Fehlanzeige!

Als wir zum verabredeten Ort für das Fotoshooting mit Matthias Deichmann eintreffen, hat er das Setting schon komplett aufgebaut: ein liebevoll dekorierter Tisch, voll mit Eigenprodukten aus der TGF Natur und Umwelt, wo Deichmann als Fachkraft arbeitet. „Wir übernehmen zum einen die Geländepflege im Dorf Neuerkerode, kümmern uns aber auch um den Gemüseanbau und die Pflege der Schnittblumen, um die Hühnerbande und sind für die Apfelernte zuständig, damit jedes Jahr der Neuerkeröder Apfelsaft verkauft werden kann.“ Jeder Bürger hat eine Aufgabe. „Der Erste hilft beim Aufkleben der Apfelsaftetiketten, die Nächste kann Gestecke für die Weihnachtsbinderei zusammenstellen. Wir schauen auf die individuellen Fähigkeiten.“ Am Ende haben alle das Gefühl: Gemeinsam haben wir etwas geschafft. Deichmann macht seinen Job schon seit „vielen, vielen Jahren. Und es wird mir nicht langweilig.“

Kreativität ohne Grenzen

In der Villa Luise in Neuerkerode ist es egal, ob mit Farbe auf Leinwand oder mit Ton gearbeitet wird: Erlaubt ist vieles – Hauptsache, es ist kreativ. In der Tagesförderung mit Schwerpunkt Kunst drücken Neuerkeröder sich aus oder nehmen an künstlerischen Prozessen teil – je nach ihren persönlichen Fähigkeiten. „Was dem Menschen gefällt und was er als Kunst empfindet, ist erstmal auch Kunst“, erklärt Sidney Köhler, Koordinator der TGF. „Die individuellen Fähigkeiten bauen wir dann gemeinsam aus.“ Er selbst wird in der Villa Luise immer wieder in Staunen versetzt – und hat auch schon ein paar Werke bei sich zu Hause hängen. „Die Menschen schaffen hier tolle Dinge“, sagt er. „Und wird die Kunst dann auch noch ausgestellt oder verkauft, erfüllt das die Künstler mit großem Stolz.“

Auf’s Huhn gekommen

Reingelegt – so steht es auf den Eierkartons, die man in Neuerkerode kaufen kann. In diesen finden sich wenig überraschend: Eier. Eier von frei laufenden Hühnern – von Neuerkerödern in die Kartons sortiert und hineingelegt. Gemeinsam mit Fachkraft Johannes Popenheim kümmern sich die Bürger im Rahmen der Tagesförderung um das Neuerkeröder Hühnermobil. Füttern, Versorgung mit Trinkwasser, Eier einsammeln, Umsiedlung und neue Freiflächen schaffen – all das gehört zu ihren Aufgaben. „Die Bürger kümmern sich um lebende Tiere. Das ist eine besondere Verantwortung“, sagt Popenheim. Und: Hühner wirken sehr entspannend, hat er festgestellt. „In meiner Gruppe sind auch Bürger, die sehr aufbrausend sein können. Wenn die aber ein Huhn auf den Arm nehmen, merke ich, wie sie runterkommen und eine innere Ruhe finden.“

Haptisch eine Sensation

Wenn er über das Produkt spricht, das er gemeinsam mit Menschen mit Behinderung produziert, kommt Björn Stichnothe, Standortleiter in der Abteilung Bildung und Arbeit, schnell ins Schwärmen. „Das sind sehr edle Schreibtische, fast zu 100 Prozent aus Naturmaterialien. Da steckt nordeuropäisches Holz mit drin, mattiertes Linoleum in vielen unterschiedlichen Farben, das sich ähnlich wie Leder anfühlt und verhält. Haptisch eine Sensation“, sagt er und streift mit seinen Händen einmal über die Tischplatte einer der höhenverstellbaren Schreibtische. Im Laufe des Produktionsprozesses würden die Beschäftigten die einzelnen Schritte und die besonderen Eigenschaften des Produktes kennen und lieben lernen. „Das ist immer auch ein Stück weit persönliche Weiterentwicklung und Bildung, was mich besonders freut.“

Ein Blumenstrauß an Menschen

Sofas, Esstische, Stühle, Gläser, Geschirrsets aus längst vergangenen Zeiten, Bücher, CDs, DVDs, Spiele – all das und noch vieles mehr gibt es im Möbelkontor in Wolfenbüttel zu entdecken und zu kaufen. „Genau das macht unsere Beschäftigten stolz“, sagt Cristina Cellupica, die den Bereich Beschäftigungsförderung leitet. Im Möbelkontor geht es um Themen wie Abholung von Möbelspenden, Lagerung, Logistik, Dekoration, Verwaltung. Alles was zum Betrieb eines sozialen Kaufhauses nötig ist. „Es gibt Kundenkontakt und Beratung. Zu jedem verkauften Stück tragen sie einen Teil bei.“ Und ganz ehrlich schiebt Cellupica noch hinter her: „Auch ich bin mehr als stolz. Im Möbelkontor arbeiten Menschen mit Migrationshintergrund, Langzeitarbeitslose, die hier einen Motivationsschub bekommen, wir können Teilnehmenden mit Behinderung Langzeitpraktika anbieten. Durch einen so wundervollen Blumenstrauß an Menschen sind schon tolle Teams entstanden.“

Aus alt mach neu

Aus Dingen, die andere Menschen wegwerfen würden, entstehen im Berufsbildungsbereich der Mehrwerk in Rautheim neue Gegenstände. Aus alten Bannern werden trendige Taschen genäht, Metallfässer zu coolen Sitzgelegenheiten aufgearbeitet und altes Holz wird zu modernen Regalen oder Palettenmöbeln. „Wir haben ziemlich freie Hand, können unsere Ideen umsetzen, uns kreativ auslassen und auf die Wünsche und Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen“, erklärt Bildungsbegleiter Mark Napieralski. Viele Artikel wurden komplett von Menschen mit Behinderung, die hier verschiedene Tätigkeiten kennenlernen können, hergestellt. „Können sie an einem Produkt nur weniger als 50 Prozent selbst machen, stellen wir das gar nicht erst her“, so Napieralski. „Es sind einfache Arbeiten mit alten Materialien, durch die am Ende tolle Produkte im Rahmen von Upcycling entstehen und die dann neue Besitzer finden.“

Stöbern lohnt sich

Den Trödelladen in Neuerkerode gibt es schon seit vielen Jahren. Neu ist jedoch, dass dieser seit Mitte des Jahres zur Tagesförderung Sonnenschein gehört. „Wir möchten mit dem Implementieren des Trödelladens in die TGF-Konzeption verschiedene sinnstiftende Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten“, sagt Martina Naber, Koordinatorin der TGF Sonnenschein. Dabei soll es etwa um die Spendenannahmen, Sortierung, Lagerarbeiten und vieles mehr gehen. Perspektivisch soll eine inklusive Beschäftigungsmöglichkeit ausgestalten werden. Mit der Bürgerin Lea steht bereits die erste Praktikantin fest. Und Naber, bekennender Vintagefan, lädt schon einmal ein: „Es gibt im Trödelladen viele Dinge, die total schön sind und in Würde altern. Stöbern lohnt sich.“

Text: Lukas Dörfler / Petra Neu // Fotos: Nina Stiller // Videos: Petra Neu

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