Wer stolpert, kann daran wachsen

– Aufwärts –

Was passiert, wenn zwei Menschen, die sich das Ja-Wort gegeben haben, ins Stolpern geraten? Wenn sie fast zeitgleich fallen, weil Stress und psychische Belastung ihren Alltag bestimmen? Silke und Andreas Frank sind in dieser Situation zusammen einen Schritt in Richtung Genesung gegangen – eine gemeinsame Reise, um Burnout und Depression zu heilen. Als Ehepaar wurden sie Patienten in der ganztägig ambulanten Reha-Tagesklinik für Psychosomatik des Lukas-Werks in Braunschweig.

Zittern und Herzrasen

Andreas Frank ist in seinem Job im Management bei VW mehr als stark eingebunden. Im Arbeitsalltag folgt ein Meeting auf das nächste. Etliche Projekte wollen parallel betreut, weiterentwickelt und abgeschlossen werden. Zu schreibende Berichte stapeln sich, Zahlen, Abstimmungsprozesse und viele Besprechungen. Da hatte der 56-Jährige schon längst psychosomatische Ausfallerscheinungen. „Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, hatte erhebliche Schlafstörungen, ein Sausen im Kopf; meine Hände haben vor jedem Meeting gezittert. Irgendwann habe ich zu meinem Chef gesagt: Das geht nicht mehr.“ Der Arzt schreibt ihn sofort krank. „In den ersten Wochen lag ich fast regungslos auf dem Sofa und habe einfach nichts gemacht.“ Eine Zeit, in der seine Frau Silke irgendwie noch funktioniert. „Und das, obwohl es mir rückblickend schon die ganzen letzten Jahre nicht gut ging“, sagt sie. Silke Frank erfährt den Druck bei der Arbeit auf andere Weise. Sie ist Versicherungskauffrau in Teilzeit mit einem Pensum für eine volle Stelle. Die Arbeitsatmosphäre setzt ihr zu. „Da herrschte unter anderem sehr hoher Mengenund Zeitdruck, mit dem ich nicht zurechtkam.“ Jahrelang macht sie das mit. Dazu kommen immens hohe Erwartungen, die Silke Frank an sich selbst hat. „Gefühlt hatte ich 10.000 Aufträge gleichzeitig abzuarbeiten. Und ich wollte jedem einzelnen gerecht werden.“ Doch irgendwann, an einem Tag im Homeoffice, kommt die nächste E-Mail – und mit ihr der Nervenzusammenbruch: Herzrasen, Schweißausbruch, Schwindel und Panik.

Runter vom Sofa

Wie ihr Mann hat auch die 54-Jährige das Glück, schnell einen Therapeuten zu finden, um in der akuten Phase der diagnostizierten Depression Unterstützung zu bekommen. Dort kommt auch die Frage nach einer Rehabilitationsmaßnahme auf. „Uns war klar, dass wir nicht in einer Klinik dauerhaft stationär aufgenommen werden wollen“, sagt Silke Frank. Ein erneuter Glücksfall: Die ganztägig ambulante Reha-Tagesklinik für Psychosomatik nimmt beide zeitgleich auf. Dem voran galt es für sie zu klären: Will ich gemeinsam mit meinem Partner dorthin oder brauche ich gerade einen Raum nur für mich? „Es gab von Anfang an klare Absprachen, auch mit dem Lukas-Werk“, erläutert Andreas Frank. Das Ehepaar wird in unterschiedliche Gruppen eingeteilt, jeder bekommt unterschiedliche Bezugstherapeuten und ein unterschiedliches Tagesprogramm. Von da an geht es für die beiden morgens täglich nach Braunschweig und abends zurück nach Hause. Kein regloses Verharren mehr auf dem Sofa – stattdessen Werkeln etwa an Holz oder Stein im Rahmen der Ergo- und Kreativtherapie, Yoga und andere Bewegungsangebote sowie Vorträge zum Thema Selbstfürsorge und Informationen darüber, wie sich eine gute Ernährung auf die Psyche auswirkt, Einzeltherapie und ganz viel Arbeiten an einem gesünderen Ich. 

„Das kann im Rahmen der Therapie sehr unterschiedlich aussehen. Ich habe zum Beispiel viel darauf geschaut, woher mein Verhalten genau kommt und welche Glaubenssätze ich schon seit meiner Kindheit mit mir herumtrage. Das hilft mir, so manches besser zu verstehen“, erläutert Andreas Frank. Seine Frau schaute weniger auf Ursachen und legte den Fokus auf die Veränderung von Verhaltensmustern. „Mein Thema war Achtsamkeit. Qi Gong hat mir da zum Beispiel sehr gut getan; das baue ich auch jetzt noch in meinen Alltag ein.“

Austausch

Doch am meisten überrascht hat beide die Gruppentherapie. „Ich dachte am Anfang, dass ich das auf keinen Fall kann – vor einer Gruppe fremder Menschen zu reden“, sagt Silke Frank. Doch schnell wurde klar: Das Ehepaar hat hier Gleichgesinnte gefunden – Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und wissen, wie sich ein Burnout oder eine Depression anfühlt, Ratschläge geben können, weil sie ähnliche Situationen erlebt haben. „Da profitiert jeder irgendwie von jedem“, sagt Andreas Frank. 

Die Gruppentreffen gefallen dem Ehepaar sogar so gut, dass sie selbst nach ihrer siebenwöchigen Therapie und der anschließenden Reha-Nachsorge mit Gruppentherapie ein neues Hilfeangebot initiieren. Seit März 2024 leiten sie eine Selbsthilfegruppe: „Wir hatten das Gefühl, dass nicht nur wir nach unserer Zeit in der Tagesklinik in ein Loch gefallen wären, sondern auch so manch ein Mitpatient. Und glücklicherweise konnten wir mit dem Lukas-Werk vereinbaren, dass wir hier Räumlichkeiten nutzen können.“ 

Im Rückblick sagt Andreas Frank: „Ich bin froh, dass es mir so schlecht ging und ich so zum Lukas-Werk und letztlich zu mir selbst finden konnte.“ Der ganze Dreck musste einmal raus, beschreibt er weiter: „In der Tagesklinik konnte ich mich öffnen. Seitdem geht es aufwärts.“

Text: Petra Neu // Fotos: Bernhard Janitschke

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