Holger Denecke in der Villa Luise

Von einer offenen Gesellschaft profitieren wir alle

– Vielfalt im inklusiven Dorf –

Mit ruhiger Hand zeichnet Holger Denecke einen feinen Halbkreis. Und dann noch einen darunter. Auf der weißen Fläche neben der Frau entsteht so nach und nach ein Schmetterling. Es ist eines von vielen Bildern, die er hier, in der Villa Luise in Neuerkerode, schon gemalt hat. Die Villa Luise ist eine Tagesförderung, in der Neuerkeröder Künstler:innen verschiedenste Werke erschaffen und ihrer Kreativität Ausdruck verleihen können. Holger Denecke liebt die Freiheiten, die ihm ein weißes Blatt und die vielen Farben geben. Dabei ist Holger Denecke nicht nur Künstler, sondern auch Sprecher der Neuerkeröder Bürger:innenvertretung. Im inklusiven Dorf, das seit 45 Jahren seine Heimat ist, sind die Menschen mindestens genauso bunt und vielseitig wie die Bilder in der Villa Luise. Mit uns hat Holger Denecke über seine Wünsche für Neuerkerode, über Kunst und über Vielfalt gesprochen.

Holger, was verbindest du persönlich mit Vielfalt?

Vielfalt bedeutet für mich, dass jeder Mensch so sein kann, wie er ist – und trotzdem akzeptiert wird. Vor allem auch dann, wenn er Eigenheiten hat, die anderen auf den Keks gehen.

Neuerkerode ist ja ein inklusives Dorf. Welche Rolle spielt Vielfalt hier? 

Ich glaube, Vielfalt und Akzeptanz spielen hier eine noch größere Rolle als an anderen Orten. Hier gibt es beispielsweise Menschen, die nicht laufen oder nicht sprechen können. Andere können nicht lesen und schreiben. Die meisten hier brauchen auf die eine oder andere Art Unterstützung. Sie werden aber so angenommen, wie sie sind, und sind ohne jede Frage Teil der Dorfgemeinschaft. An anderen Orten ist das nicht immer so einfach. Da wird man schnell ausgeschlossen oder gehänselt, wenn

Hier leben ja vor allem Menschen mit geistiger Behinderung. Was für eine Rolle spielt die Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderung im Miteinander?

Für eine offene Gesellschaft sind Begegnungen enorm wichtig. Durch sie kann man einander helfen und auch voneinander lernen. Begegnungen schaffen Verständnis und Offenheit für das Gegenüber. Deshalb wäre es schön, wenn Menschen ohne Behinderung öfter ins Dorf kommen würden und nicht nur zu unseren großen Festen. Toll wäre auch, wenn Neuerkerode sich vergrößern und Familien ohne Behinderung hierherziehen würden. Von einem solchen Miteinander würden wir alle profitieren.

Und sind wir da als Gesellschaft auf einem guten Weg?

Im europäischen Durchschnitt hinken wir bei dem Thema Inklusion hinterher. Es gibt Länder, die da schon wesentlich weiter sind. Wir müssen die Inklusion stärken. Weltweit beobachte ich da aber eher einen Trend in die falsche Richtung. Das macht mir große Sorgen. Donald Trump übertrifft in den USA ja sogar noch Viktor Orbán in Ungarn und Giorgia Meloni in Italien. Und auch in Deutschland sehen wir diese antidemokratische Entwicklung mit dem Erstarken der AfD. Sie alle setzen sich gegen Vielfalt ein. 

Du bist ja auch Schauspieler im Theater Endlich. In deinem letzten Solostück „anders“ ging es auch darum, was passiert, wenn Vielfalt nicht gelebt wird, nämlich um Ausgrenzung. Kann das Theater Vielfalt fördern? 

Davon bin ich überzeugt. Und nicht nur das Theater, sondern auch die bildende Kunst. Wenn ich ein Theaterstück sehe oder ein Bild, dann macht das etwas mit mir. Es eröffnet mir neue Perspektiven und ich versetze mich in die Maler:innen oder Theatermacher:innen hinein. So schafft die Kunst Empathie und Offenheit und fördert so die Vielfalt.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft mehr Akzeptanz und Verständnis für Menschen mit Behinderung entwickelt. Und nicht nur für Menschen mit Behinderung. Auch Menschen, die aus dem Krieg fliehen mussten und bei uns Schutz suchen, sollten mehr Verständnis entgegengebracht bekommen. Von einer offenen, vielfältigen Gesellschaft profitieren wir alle. Doch wir müssen uns alle aktiv für sie einsetzen.

Text: Lukas Dörfler // Fotos: Bernhard Janitschke