Therapiehund Toni
Neuerkeröder Blätter

Toni kann man einfach nicht ignorieren

„Toni! Schön, dass du wieder hier bist!" So oder so ähnlich wird die kleine Rauhaardackelhündin seit einigen Monaten jeden Donnerstag im Palliativbereich des Krankenhauses Marienstift begrüßt.

Nach der turnusmäßigen Besprechung mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften, der Physiotherapeutin, dem Entlassmanagement, der SAPV, der Seelsorge sowie der Hospizarbeit Braunschweig sucht Eve von Sassen, Psychoonkologin und Tonis Frauchen, die Patienten auf, die bei Bewusstsein sind.

Vor dem Einsatz auf der Palliativstation wurde Toni – seit dem 20. Februar ein Jahr alt – zunächst von einer Amtstierärztin begutachtet. Fazit: Keine Gefährdung für das Tierwohl und Toni ist trotz ihrer Instinkte als Jagdhund wunderbar für die Station geeignet! Nach Prüfung weiterer Aspekte durch die Krankenhaushygiene – dabei ging es um Themen wie Leinenpflicht, Information über entsprechende Händedesinfektion sowie die Verpflichtung, den Hund häufiger als normal üblich zu untersuchen – konnte es endlich losgehen.

„Toni ist ein kleiner Eisbrecher“, beschreibt Eve von Sassen. „Natürlich haben nicht alle einen Bezug zu Tieren, aber viele hatten früher eigene Tiere und springen sofort auf den Hund an.“Und nicht nur das – auch für die Mitarbeitenden ist der Donnerstag immer ein Highlight, wie Gerdi, seit acht Jahren Pflegeassistentin im Palliativbereich, ausdrücklich betont:

„Toni macht den Patienten und Mitarbeitenden sehr viel Freude. Sie ist einfach sehr niedlich – da geht einem das Herz auf.“

Als Toni vor Kurzem in einem gut gefüllten Stationszimmer auf der M2 zu Besuch war, kam Chefarzt Dr. Prönneke spontan vorbei und staunte nicht schlecht: „So viele strahlende Gesichter habe ich ja lange nicht gesehen“, so sein Kommentar mit einem Lächeln.

Ein offenes Ohr

Das gilt auch für die zum Teil schwerkranken Menschen, die sich oft in ihrer letzten Lebensphase befinden. Einige möchten nicht sprechen, andere freuen sich sehr, wenn neben ihren Angehörigen eine für sie fremde Person ein offenes Ohr für den oft dringend gewünschten Austausch hat. Sie fragen um Rat, haben Ängste vor Schmerzen oder dem Tod, sorgen sich um ihre Familie – nicht selten fließen Tränen. „Ich sage dann immer: Mich können Sie belasten! Mich müssen Sie nicht schonen! Viele weinen nicht vor ihrer Familie. Es tut gut, diese Emotionen gemeinsam spüren zu können.“ Die 52-Jährige könnte über den Austausch inzwischen schon ein Buch schreiben – zumal viele Patienten und Patientinnen, gerade älteren Semesters, teilweise zum ersten Mal in ihrem Leben über ihre Kriegs- oder Fluchterlebnisse sprechen. Wenn ein solches Gespräch zustande kommt, empfinden die Betroffenen es häufig als heilend.

Therapiehund Toni spielt mit einem Patienten

Eine besondere Beziehung hat Toni zu Michael Weiner. Der an Krebs erkrankte Braunschweiger ist während unseres Fototermins zum zweiten Mal und für einen längeren Zeitraum im Marienstift. „Ich hatte vor sehr langer Zeit einen Hund und habe seitdem Hunde bewusst ignoriert, um keine Beziehung mehr aufzubauen. Aber bei Toni ging das einfach nicht“, so der 56-Jährige mit dem Dackel auf seinem Schoß. „Die Besuche von Toni tun mir sehr gut, weil sie mich von allem anderen für kurze Zeit ablenken.“ Als er von Psychologin und Hund im Rollstuhl nach draußen begleitet wird, um eine Zigarette zu rauchen, thront Toni königlich auf seinem Schoß und fühlt sich sichtlich wohl. Michael Weiner für einen kurzen Moment ebenso.*

Seit zehn Jahren am Marienstift

Die Psychologin spricht auch viel mit Angehörigen und berät zum Beispiel, wenn es darum geht, dass Patienten am Lebensende keine Nahrung oder Flüssigkeit mehr zu sich nehmen möchten oder teilweise eine palliative Sedierung vorgenommen wird. „Ich erkläre dann, dass sie nicht leiden, sondern dass es im Gegenteil dabei hilft, den Sterbeprozess natürlich zu vollziehen. Unser Körper ist sehr weise. Menschen stellen die Nahrungsaufnahme ein, weil sie sie z. B. gar nicht mehr verdauen können“, weiß von Sassen.

Die geborene Wolfenbüttelerin bezeichnet sich selbst als „Weiterbildungs-Junkie“. Nach ihrer Ballettausbildung wurde sie Tanz- und Bewegungstherapeutin, arbeitete lange in der Psychiatrie, studierte Psychologie auf Bachelor an der Fernuniversität in Hagen und bildete sich ständig weiter – in Traumatherapie, Tiefenpsychologie sowie Psychoonkologie. Ins Marienstift kam von Sassen über ihr Engagement in der Hospizarbeit. Eine ihrer Patientinnen, die sie lange begleitete, lag zeitweilig im Marienstift und so lernte sie Dr. Prönneke kennen. Inzwischen ist sie neben der Arbeit in ihrer eigenen psychologischen Praxis in Wolfenbüttel seit fast zehn Jahren freiberuflich im Marienstift beschäftigt.

Rauhaardackelhündin Toni lässt sich gerne streicheln

Und jetzt nur noch in Begleitung unterwegs – zum Glück! „Toni ist ein ausgesprochen aufmerksamer, empathischer und freundlicher kleiner Hund“, beschreibt ihn ihre Besitzerin. „Draußen ist sie ein Jagdhund, drinnen ruhig, folgsam, zurückhaltend und ein rundum ausgeglichenes Wesen. Man merkt aber auch, dass der Einsatz für sie anstrengend ist. Sie braucht im Anschluss unbedingt Ruhe.“ Die sei Toni gegönnt. Patienten und Team freuen sich schon auf nächsten Donnerstag!
 

* Zehn Tage nach unserem Besuch erhielten wir die traurige Nachricht, dass Michael Weiner verstorben ist. Wir sind ihm sehr dankbar, dass wir hier dennoch von seinen liebgewonnenen Erfahrungen mit Begleithund Toni berichten dürfen. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und seinen Angehörigen, denen wir Kraft und Zuversicht wünschen.

Text: Miriam Herzberg // Fotos: Bernhard Janitschke

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