Kirstin Büthe ist Lehrkraft am Marienstift, gelernte Hebamme, Diplom-Geografin M.A. Inklusive Pädagogik und Kommunikation sowie Katastrophenhelferin
Es war ein paar Tage her, dass Kirstin Büthe vor ihrem Computer saß und auf „Enter“ drückte, da bebte im Februar die Erde in der Türkei und Syrien schwer. Mit dem Tastendruck hatte sie gerade eine Bewerbung an das Rote Kreuz auf den Weg gebracht und damit ihre ehrenamtliche Hilfe angeboten. So wie schon 2010, als die Hebamme und Geografin nach dem damals verheerenden Erdbeben auf Haiti als Katastrophenhelferin im Einsatz war. „Als ich auf der Insel ankam, fühlte es sich an wie das Tor zur Hölle. Haiti war ein Land in Auflösung“, erinnert sich die 55-Jährige heute, 13 Jahre nach dem Einsatz, noch genau.
Ein Land in Auflösung
Auf dem Weg vom Flughafen in das „Field Hospital“, wie die mobilen Krankenhauseinheiten, in der sie zum Einsatz kommt, genannt wird, sieht sie Berge von Schutt, zerstörte Gebäude, riesige Risse in den Straßen, offene Rohrleitungen, tote Menschen am Straßenrand. „Es war einfach alles kaputt. Jeder und jede war auf sich gestellt, alle waren im individuellen Überlebenskampf.“
24 Stunden "on call"
Im Field Hospital angekommen, wechselt Büthe sofort in den Arbeitsmodus. In brütender Hitze begleitet die Hebamme vor allem Frauen. „Das war eine unglaublich hohe Zahl an Geburten pro Tag.“ Darunter gesunde, aber auch schwache, unterentwickelte Neugeborene, Totgeburten. Einmal starb eine Mutter nach der Geburt eines toten Kindes. „Andere Frauen wollten ihr Baby nicht, weil es krank und schwach auf die Welt kam und sie nicht wussten, wie es überleben sollte.“ Büthe ist auf Haiti im Prinzip 24 Stunden „on call“, wie sie sagt. „Morgens kam das Team kurz zusammen für einen aktuellen Stand der Dinge, dann war man im Einsatz.“
Wenn überhaupt, macht sie nur kurze Pausen auf einer Pritsche im Hinterzelt. Einmal, als sie dort für einen Moment Ruhe sucht, schläft sie ermattet ein. Ein Nachbeben kommt. Doch dass die Erde erneut wackelt, bekommt Kirstin Büthe nicht mit, so erschöpft ist sie an diesem Tag.
Manchmal habe sie auf Haiti schon Angst um ihr Leben gehabt, berichtet Kirstin Büthe. Das Field Hospital ist kein sicherer Ort. Das Lager ist umzäunt mit hohem Stacheldraht. Innerhalb des Lagers gibt es vor allem Wasser, Lebensmittel und Geld. „Begehrte Güter. Und die Hilfe, die wir boten, hat dem Volk auch gezeigt: Wir befinden uns in einer Lage der totalen Abhängigkeit. Das machte den Menschen Angst“, erklärt Büthe. Über die Zäune flogen auch Sprengsätze. Vier Wochen verbringt die Hebamme auf Haiti.
"Eine Zeit, in der ich gelernt habe, zwischen wichtig und unwichtig zu trennen. Das verändert auch den Blick auf unser Leben hier in Deutschland.“
Die Erfahrungen, die sie dort macht, sind schwer verdaulich. Dennoch ist Büthe klar: Sie möchte auch künftig als Katastrophenhelferin im Einsatz sein. Doch erst als sie zwölf Jahre später, im April 2022, eine Stelle als Lehrkraft im Bildungszentrum Marienstift in Braunschweig antritt, scheint das wieder möglich. Nach ihrer Probezeit geht sie Ende vergangenen Jahres zur Schulleitung und bringt ihren Wunsch vor. Knapp zwei Monate drückt sie auf ihrem Computer auf „Enter“. „Ich bin unglaublich froh, hier endlich einen Arbeitgeber gefunden zu haben, der mich für ein solches Ehrenamt freistellt.“ Das sei nicht selbstverständlich. Wann genau es nun so weit ist? Für einen Einsatz in der Türkei kam Kirstin Büthe nicht infrage. „Dort ist vor allem Routine gefragt. Mein Einsatz auf Haiti liegt dafür schon zu lange zurück.“ Doch so traurig es ist, Hilfe werde immer wieder benötigt in Krisenregionen, in Auffanglagern. Gefragt nach ihrer Motivation antwortet Büthe: „Dort zu helfen, wo Menschen, völlig auf sich alleine gestellt sind, das ist ein ganz besonderes Gefühl.“
Text: Petra Neu // Fotos: Bernhard Janitschke /privat
Wie ist der Alltag in einem Field Hospital?
Im Video berichtet Kirstin Büthe aus ihrer Zeit auf Haiti.