Symbolbild

Neben Körper und Geist auch die Seele pflegen

In der Tagespflege Isenbüttel schreckt man auch vor Tabuthemen nicht zurück.

Von Montag bis Freitag besuchen Senior:innen die Tagespflege Isenbüttel, die für diese mehr sein möchte, als eine reine Pflegeeinrichtung. „Wir wollen den Menschen ein Stück zuhause bieten“, erläutert Andrea Grigoleit, Fachleitung der Tagespflege. „Und das gelingt nur, wenn wir ganz nah dran sind an unseren Gästen.“ Dafür schreckt die Tagespflege Isenbüttel auch vor Tabuthemen nicht zurück: Im Rahmen des Projektes „Wohl.Fühlen“ der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen setzen sich Mitarbeitende mit Gästen und Angehörigen mit Themen wie sexueller Selbstbestimmung und Gewaltprävention auseinander. Die Resonanz der Gäste ist dabei schon jetzt überwältigend.

Grigoleit Hooge Isenbüttel

Zunächst nahmen alle Mitarbeitenden der Tagespflege Isenbüttel im Rahmen des Projektes an einer Fortbildung zur Prävention von Gewaltereignissen teil. „Oft kommen auch demenziell erkrankte Menschen zu uns. Da kann es auch mal ganz plötzlich zu Gewalt gegenüber den Mitarbeitenden kommen“, sagt Grigoleit. In der Fortbildung lernten sie mehr über den Umgang mit solchen Situationen – vom beruhigenden Gespräch bis hin zur Hilfe durch Kolleg:innen, wenn man selbst sich überfordert fühlt.

Dass die Mitarbeitenden professionell bleiben, versteht sich von selbst. Aber was ist mit den Senior:innen, die beispielsweise einen Wutausbruch mitbekommen? Lena Hooge, Betreuungskraft in der Tagespflege Isenbüttel, sagt: „Mit unseren Gästen haben wir solche Momente durchgesprochen. Es ging darum, den anderen nicht sofort zu verurteilen, sondern Verständnis für ihn zu entwickeln. Das hat viel bewirkt.“

Bei dem Projekt geht es aber nicht nur darum, andere zu sehen, sondern auch sich selbst gesehen und gehört zu fühlen. „Wir haben gemerkt, dass die Arbeit in kleinen Gruppen von rund fünf Personen gut funktioniert. Da wird viel freier geredet als in der großen Runde“, berichtet Grigoleit. Bei den Gesprächen geht es um sexuelle Selbstbestimmung. Hauptthema sei da nicht Sex, sondern der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit. Die Fachleiterin sagt: „Diese Bedürfnisse werden bei vielen – beispielsweise nach dem Tod des oder der Partner:in – nicht mehr erfüllt. Einsamkeit ist ein großes Thema.“ Die Corona-Pandemie mit ihren Kontakt- und Abstandsgeboten habe die Situation noch verschärft.

Obwohl die Gäste einer Generation angehörten, die verschlossener gegenüber solchen Themen sei, habe in den Gruppen schnell eine große Offenheit geherrscht. „Natürlich können wir keine Partner:innen ersetzen. Aber schon die Gruppe selbst hat ein gewisses Maß an Vertrauen und Geborgenheit geschaffen“, so Grigoleit. Und Hooge ergänzt: „Auf die Gruppengespräche wurde richtig hingefiebert. Man hat gemerkt, wie das Thema des vorherigen Treffens innerlich verarbeitet wurde. Da wurde direkt wieder angesetzt.“

Die Resonanz zeige, wie groß das Bedürfnis sei, sich verstanden zu fühlen. Nun wüssten die Gäste, dass sie in der Tagespflege immer ein offenes Ohr finden, wenn sie mal nicht wissen, wohin mit ihren Gefühlen. Gleiches gelte auch für die Angehörigen.

Das einzige Manko des Projektes: Die zusätzlichen Angebote seien mit einem enormen Mehraufwand verbunden. Doch Grigoleit und Hooge sind sich einig: Der Aufwand lohnt sich. „Es geht schließlich nicht darum, in einer Tagespflege nur Körper und Geist fit zu halten“, sagt die Fachleiterin. „Auch die Seele bedarf der Pflege. Und die kann sie nur durch Vertrauen und Offenheit bekommen.“

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