Inka Schlaak, Tochter einer alkoholkranken Mutter, leitet seit 15 Jahren ehrenamtlich eine Angehörigengruppe in der Lukas-Werk Fachambulanz Braunschweig.
„Glücklicherweise habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter.“ Inka Schlaak sagt diesen Satz über ihre Mutter, die nur wenige Kilometer entfernt von ihr lebt, entschlossen und lächelt dabei. „Ich habe gelernt, in Liebe loszulassen“, erklärt die 55-Jährige. Das war vor gut zwölf Jahren.
Lange sehnte sie sich nach der Anerkennung der Mutter. Stattdessen hörte sie schon als 5- Jährige: Du bist an allem Schuld. Schlaaks Mutter ist damals bereits alkoholabhängig, geht mit Fahne zu Elternabenden, macht alles und jeden schlecht. Später, als es schlimmer wird, rennt sie „völlig zugeschossen“, fast nackt durchs Dorf. Die kleine Inka will am liebsten unsichtbar sein. Schulfreunde lädt sie nicht zu sich ein. „Ich wusste ja nie, in welchem Zustand meine Mutter ist.“
Einziger Zufluchtsort ist das Haus der Großmutter, in dem sie Liebe und Geborgenheit findet. Schlaaks Mutter lässt sich jahrelang nicht helfen, lehnt jegliche Therapie ab. Als Inka Schlaak mit 18 Jahren auszieht, beginnt der Telefonterror der Mutter. Zu jeder Tages- und Nachtzeit: Gezeter, Degradierungen, Vorwürfe. Schlaak bekommt Angstzustände.
Mama, Du brauchst Hilfe.
Tochter Michelle sagt mit neun Jahren: „Mama, du brauchst Hilfe.“ So kommt Schlaak zum Lukas-Werk. „Das war mein großes Glück“. In der Angehörigengruppe in der Fachambulanz Braunschweig des Lukas-Werks merkt sie: sie ist nicht allein.
In vielen mühevollen Etappen lernt sie, mit ihrer Mutter umzugehen. „Für mich war der richtige Weg die vollkommene Loslösung. Ohne Vorwürfe, sondern in Liebe. “ Keinen Kontakt – das bedeutete vor allem, keinen Telefonterror mehr. „Ich wollte diese Anrufe nicht, fand aber nie die passenden Worte, um meiner Mutter das zu sagen.“ Gemeinsam mit ihrer Therapeutin schreibt sie im Lukas-Werk Sätze auf, findet schließlich den Tonfall.
„Als ich die Worte endlich am Telefon aussprach, fiel ein ganz großer Berg von mir ab.“
Bei jedem Anruf ihrer betrunkenen Mutter wiederholt Schlaak das eingeübte Wortkonstrukt und legt danach auf. Irgendwann klingelt das Telefon nicht mehr.
Brücke in die Vergangenheit
Irgendwann klingelt das Telefon nicht mehr. Seitdem empfindet sie ihr Leben als „glückliches Gesamtpaket“ und meint damit ihren Mann, mit dem sie gemeinsam im Verein tanzt, ihre Aufgabe als Schießsportleiterin, ihre mittlerweile 29-jährige Tochter, „die ganz großartig ist“, ihr Engagement als Heimatpflegerin in Rüningen, den Sitz im Bezirksrat Südwest, den Vorsitze in der Bürgergemeinschaft Rüningen (BGR), und sowie die Leitung der Angehörigengruppe, einer Selbsthilfegruppe des Braunschweiger Freundeskreises, die in den Räumlichkeiten der Lukas-Werk Fachambulanz in Braunschweig Angebote macht. „Die Schulfreunde, die ich als Kind nicht hatte, habe ich genau in dem Moment wiedergefunden, als ich meine Mutter losließ.“ Drei ehemalige Mitschülerinnen aus der Grundschule gehen nun mit ihr schon viel länger – 20 Jahre lang – durch das Leben, als es die Schulzeit je hergegeben hätte.
Unscheinbar, fast versteckt stand viele Jahre lang in einer Ecke ihres Wohnzimmers eine 3-Liter-Weinbrand-Flasche, die einst ihre Mutter auf dem heimischen Sofa liegend geleert hat. Schlaak trug sie seit ihrem Auszug zunächst mit sich. Eine Brücke in die Vergangenheit. „Die brauch ich schon lange nicht mehr“, sagt sie. Das darin gesammelte Kleingeld schenkte sie irgendwann ihrer Tochter. Die Flasche ist entsorgt. „Weil ich gelernt habe, in Liebe loszulassen. Denn nur wenn ich mich ändere, ändert sich was.“
Freundeskreise im Lukas-Werk: ein offenes Forum für alle
Die 20 Freundeskreise an allen Standorten des Lukas-Werks sind Selbsthilfegruppen mit mehr als 1.000 Mitgliedern. Darunter Betroffene, die sich entschlossen haben, suchtmittelfrei zu leben sowie Angehörigenselbsthilfegruppen, die dem Umfeld von Betroffenen unterstützend zur Seite stehen. Schritt für Schritt begleiten sie mit ihren eigenen Erfahrungen andere Suchtgefährdete und -kranke auf dem Weg in ein Leben frei von Suchtmitteln und bieten Angehörigen die Möglichkeit zum Gedankenaustausch und Gespräch. Dabei freuen sich die Freundeskreise über neue Mitglieder.