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Je früher der Zugang, desto größer die Gefahr

Heute findet der bundesweite Aktionstag gegen Glücksspielsucht statt. Mit dem Tag wollen auch die Suchtexperten Christian Horn und Taina Dohmes von der Fachambulanz Braunschweig auf die Gefahren des Glücksspiels aufmerksam machen – und schon möglichst früh dafür sensibilisieren, dass sich aus einem vermeintlich harmlosen Glücksspiel eine ernsthafte Sucht entwickeln kann. Die beiden Präventionskräfte stellen heute zwei neunten Klassen im Braunschweiger CJD den sogenannten „Glücksspielkoffer“ vor. Im Interview erklären Horn und Dohmes, was genau dahintersteckt, welche Rolle das Online-Glücksspiel inzwischen spielt und welche Gruppe von Jugendlichen besonders gefährdet ist.

Warum sind solche Aktionstage wichtig und warum steht in diesem Jahr der Schutz von Jugendlichen im Fokus?
Christian Horn: Automaten-Apps auf dem Handy, Tipplisten im Sportverein, Glücksspielelemente in Computerspielen: Die Hürde zum Spieleinstieg ist niedrig. Immer mehr Kinder und Jugendliche verbringen ihre Zeit mit Glücksspielen, die schon bei einem geringen Einsatz einen hohen Gewinn versprechen. Vielfach erfolgt der Einstieg mittels kostenfreier Spiele. Erste Erfolgserlebnisse stellen sich ein, wirken belohnend und legen eine Teilnahme am Echtgeldspielbetrieb nahe. Vermeintlich harmlose Kleinbeträge zu Beginn summieren sich schnell. Die Zahlen der riskant spielenden jungen Menschen sind besorgniserregend und erfordern eine frühe Aufklärung und Sensibilisierung“ hören wir auch von unserer Kollegin Martina Kuhnt, Referentin und Landeskoordinatorin Glücksspielsucht bei der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen.


An wen richtet sich das Angebot mit dem Glücksspielkoffer?
Christian Horn: Der Präventionsparcours "abgezockt" wurde speziell entwickelt, um Jugendliche und junge Erwachsene für die Risiken des Glücksspiels zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, um sich selbst zu schützen. Es geht also um Jugendliche und junge Erwachsene ab 14 Jahren.

 

Was macht ihr an dem Aktionstag heute mit den Schüler:innen genau?
Taina Dohmes: Wir werden mit den Schüler:innen drei Einheiten absolvieren. Zunächst steigen wir mit einem Plenum in das Thema ein. Danach wird der eigentliche Parcours in Kleingruppen durchgespielt. An den Stationen gibt es ein Wissensquizz mit Fragen zum Thema Glücksspielsucht und es wird um den „Münzwurf“ und das Verständnis von Wahrscheinlichkeiten gehen. Außerdem gehört ein „Stärken-Check“ zum Parcours, bei dem die Jugendlichen erfahren, welche Fähigkeiten sie vielleicht schon haben, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Wir arbeiten auch mit einem sogenannten „Zeitkuchen“, bei dem die Teilnehmenden selber mit Buntstiften kreativ werden, um ein besseres Gefühl zu bekommen, was am Tag am meisten stresst, und es gibt eine weitere Würfelstation mit kleinen Schatzkisten, die man zusätzlich nutzen kann, um das Prinzip der Lootboxen in simulierten Glücksspiel, zu verstehen – das sind virtuelle Behälter, die z.B. in Computerspielen verwendet werden. Zum Ende machen wir dann eine gemeinsame Reflexion mit den Schüler:innen.

Welche Erfahrungen macht ihr generell, wenn ihr mit Jugendlichen solche Präventionsmaßnahmen durchführt?
Christian Horn: Ich mache die Erfahrung, dass die Jugendlichen meist eine heterogene Gruppe sind – ein paar sind meist dabei, die sich echt gut einbringen und ein paar bleiben im Hintergrund. Ich erlebe die Klasse meist aber sehr interessiert und motiviert – grade weil es eine schöne Abwechslung zum Regelunterricht darstellt.

Manchmal entstehen im Nachhinein auch noch intensivere Einzelgespräche, besonders wenn Angehörige von Spielsucht selbst betroffen sind.

Warum ist es wichtig, schon frühzeitig auf die Gefahren des Glücksspiel hinzuweisen?
Taina Dohmes: Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist es laut Jugendschutzgesetz untersagt an Glücksspielen teilzunehmen, trotzdem steigt die Zahl der teilnehmenden Jugendlichen an. Bereits 36 Prozent der 16-17-jährigen Jugendlichen haben schon einmal an einem Glücksspiel teilgenommen.
 

Christian Horn:Dabei ist die Gruppe der Jugendlichen besonders gefährdet für die Entwicklung glücksspielbezogener Probleme. Je früher der Zugang zum Glücksspiel, desto größer ist die Gefahr ein problematisches Verhalten zu entwickeln. Zudem tendieren Jugendliche dazu, ihre Einflussnahme auf den Spielausgang durch individuelle Fähigkeiten zu überschätzen. Fast-Gewinne lösen Glücksgefühle aus und fördern eine Spielintensivierung. Aber dieser Spielspaß birgt eben auch auch Risiken.


Begegnet uns Glücksspiel und Glücksspielsucht immer häufiger heutzutage?
Christian Horn: Seitdem der neue Glücksspielstaatsvertrag 2021 das Online-Glücksspiel als legales Angebot behandelt, sehen wir eine massive Zunahme an Werbung, sowohl digital, im TV als auch auf dem Rasen. Kaum ein Profifußballverein, mit Ausnahme des FC St. Pauli, verzichtet inzwischen auf die Werbeeinnahmen durch Kooperationen mit Glücksspielanbietern.

Taina Dohmes: Nur noch Spielhallen und Wettannahmestellen scheinen die aussterbenden Ladenzeilen in den Innenstädten füllen zu können und sind im zentralen Stadtbild inzwischen Normalität. Als besonders problematisch empfinde ich die zunehmende Verschränkung von „gaming“ und „gambling“ – also Computerspielen mit Glücksspielelementen, wie etwa das Kaufen von FIFA-Packs oder das von RockStar-Games entwickelte Casino-Update für GTA5, um Geld vom realem Bankkonto verspielen zu können.

Online. Anonym. Sicher.

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Kontakt
Christian Horn, Sozialarbeiter (M.A.)
Fachambulanz Braunschweig
Telefon: 0531 180537 10
E-Mail: c.horn@lukas-werk.de

Hintergrundinfos Glücksspielparcours

„Glücksspielsucht ist ein ernstzunehmendes Problem. Deshalb verstärken wir unser Engagement in Niedersachsen durch die Förderung des Glücksspielparcours“, sagt Dirk Vennekold, Leiter der DAK-Landesvertretung Niedersachsen. „Wir wollen bereits früh im Umfeld Schule für das Thema sensibilisieren und damit der Glücksspielsucht in Niedersachsen den Kampf ansagen.“

Der Präventionsparcours "abgezockt" wurde speziell entwickelt, um Jugendliche für die Risiken des Glücksspiels zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, um sich selbst zu schützen. Er kann künftig in niedersächsischen Schulen und Jugendeinrichtungen eingesetzt werden. Der Parcours bietet eine interaktive und informative Erfahrung, die auf die Bedürfnisse und Interessen der jungen Generation zugeschnitten ist. Durch verschiedene Stationen und Aktivitäten werden die Jugendlichen ermutigt, kritisch über Glücksspiel nachzudenken und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.

Der Glücksspielparcours wurde im Jahr 2012 vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg und dem SuchtPräventionsZentrum gemeinsam mit Glücksspielfachkräften aus unterschiedlichen Bundesländern entwickelt und im Anschluss evaluiert. Der neue Glücksspielparcours „abgezockt“ wurde auf Grundlage neueren Entwicklungen im Bereich überarbeitet und um wichtige Inhalte ergänzt (Sportwetten, Online-Glücksspiel, Glücksspielwerbung und simuliertes Glücksspiel). Die DAK-Krankenkasse fördert die Materialentwicklung und Umsetzung des Parcours.

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