Brigitte Hube fährt für die DIAPP zu ihren Klienten
Brigitte Hube fährt für die DIAPP zu ihren Klienten

Brigitte Hube hilft psychisch kranken Menschen in ihren Alltag zurück

Für unsere Serie "Unterwegs mit..." haben wir diesmal Brigitte Hube vom diakonischen ambulanten Psychiatrischen Pflegedienst begleitet.

Dinge wie morgens aufstehen, Bus fahren, einkaufen gehen oder Briefe beantworten, machen vielleicht nicht jedem Spaß, aber sie gehören zum Alltag dazu. Doch für Menschen mit einer psychischen Erkrankung wie beispielsweise einer Depression oder einer Angststörung können diese Tätigkeiten zu gefühlt unüberbrückbaren Hürden werden, die sie davon abhalten, ihren Alltag wie gewollt leben zu können. Die Seele ist in einem Tief, aus dem sie nicht mehr alleine herauskommt. Doch alleine muss man das auch nicht schaffen: Es gibt fachliche Unterstützung – beispielsweise in Form einer Begleitung durch die Mitarbeitenden des diakonischen ambulanten psychiatrischen Pflegedienstes (DIAPP) der Diakoniestationen Harz-Heide, die zu der Evangelischen Stiftung Neuerkerode gehören.

So kam Brigitte Hube zum DIAPP

Eine dieser Mitarbeitenden ist Brigitte Hube, die seit 2019 bei dem DIAPP arbeitet. Von dem Angebot des psychiatrischen Pflegedienstes erfuhr sie, weil er einst einer Person aus ihrem Umfeld wieder auf die Beine half. „Davor wusste ich gar nicht, dass es diesen Beruf gibt“, sagt die 48-Jährige. Sie hat viele Jahre als Krankenschwester gearbeitet, bevor sie die Zusatzausbildung zur Psychiatriefachkraft macht und bei der DIAPP anfängt. „Bis heute habe ich diese Entscheidung nicht bereut“, berichtet sie. „Es gab noch keinen Tag, an dem ich nicht gerne zur Arbeit gegangen bin.“

"Es gab noch keinen Tag, an dem ich nicht gerne zur Arbeit gegangen bin."


Brigitte Hube

Jeder Mensch ist anders

Die Aufgaben, die sie dabei erfüllt, sind vielseitig: Sie unterstützt unter anderem bei der Organisation von Alltag und Freizeit, erstellt mit ihren Klient:innen individuelle, alltagstaugliche Hilfepläne, unterstützt beim Aufbau und der Pflege von sozialen Kontakten, führt entlastende Gespräche und begleitet auch bei Ämter- und Behördenangelegenheiten. Die Cremlingerin richtet sich – ebenso wie ihre rund 30 Kolleg:innen – nach den Bedürfnissen ihrer individuellen Klient:innen. Denn jemand mit einer Angststörung habe ganz andere Themen, die er oder sie in der Begleitung angehen wolle, als jemand mit einer Depression. „Und auch die Bedürfnisse eines Menschen mit Depression unterscheidet sich enorm von anderen Menschen mit der gleichen Erkrankung. Wir sind nun einmal alle unterschiedlich – ob mit oder ohne psychische Erkrankung“, sagt Brigitte Hube.

Tagesstruktur ist ein großes Thema

So beginnt auch jeder Arbeitstag ein wenig anders. Warum das so ist, wird klar, als sie an diesem Tag Walter Johann (Name von der Redaktion geändert) trifft. Er leidet unter Depressionen, hat Probleme, morgens aus dem Bett zu kommen und eine Tagesstruktur zu finden. Die Cremlingerin weiß: „Das ist bei vielen Klient:innen ein großes Thema.“ Derzeit treffen sie sich zweimal in der Woche. „Eine Uhrzeit bestimmt dabei mein Klient, die andere ich“, sagt Hube. Um ein früheres Aufstehen zu fördern, wählt sie meist frühe Termine.

Brigitte Hube von der DIAPP im Gespräch mit einem Klienten

Alpakas und Regenwürmer

Auch wo die Treffen stattfinden, ist je nach Klient:in unterschiedlich. Mal trifft Brigitte Hube sie in der Natur, auf der Pferdekoppel oder im Einkaufszentrum. Auch eine Alpakawanderung hat sie schon gemacht. Orte, die nicht fußläufig zu erreichen sind, eignen sich gut, damit beispielsweise jemand mit einer Sozialphobie versucht, mit dem Bus zu fahren. Bei den Spaziergängen draußen hat Hube bestimmte Herangehensweisen, um Menschen aus ihren Gedankenstrudeln ins Hier und Jetzt zu holen. „Ich führe bei den Spaziergängen spielerisch an das Thema Achtsamkeit heran: Wer sieht zuerst etwas Gelbes? Wer einen Vogel? Oder einen Regenwurm?“, erklärt Brigitte Hube.Doch sie trifft ihre Klient:innen auch oft bei ihnen zu Hause. Es wird darüber gesprochen, was ihnen helfen könnte und gemeinsam werden Pläne erstellt, wie die vereinbarten Ziele erreicht werden können.

Mit viel Gefühl

Im Gespräch mit Johann merkt man schnell, wie feinfühlig die Cremlingerin vorgeht. Sie fragt nach Dingen, die ihren Gesprächspartner interessieren – in diesem Fall sind das Gesellschaftsspiele. Ganz locker und wie spontan lässt sie Fragen, die für ihre Arbeit wichtig sind, in das Gespräch einfließen: Wie ist das Wohlbefinden? Wie hast du geschlafen? Hast du schon etwas gegessen? Wie sieht es mit der Ordnung aus?

"Wie hast du geschlafen? Hast du schon etwas gegessen?"


Brigitte Hube

Gemeinsam einen Anfang finden

Denn gerade in der Küche fällt es Johann schwer, Ordnung zu halten. „Da habe ich auch kein Problem damit, mal mit anzupacken – was jedoch nicht bedeutet, dass ich für die Klient:innen putze“, sagt Hube. Es gehe eher darum, gemeinsam einen Anfang zu finden. Das helfe sehr, bestätigt Johann: „Ich brauche da manchmal einfach einen kleinen Schubs. Den Rest schaffe ich dann auch ohne Brigitte.“

Hilfepläne für die Zeit danach

Gemeinsam werden Hilfepläne erstellt, auch für die Zeit nach der Begleitung. Für vier Monate am Stück übernimmt die Krankenkasse bei Zuspruch die Kosten. Jedes halbe Jahr oder nach Klinikaufenthalten kann die Unterstützung beantragt werden. Die Intensität der Begleitung ändert sich mit der Zeit. Zu Beginn trifft man sich öfter, dann wird es weniger, bis man sich nur noch einmal in der Woche sieht. So wird versucht, die Klient:innen auf den Abschied vorzubereiten. Denn Brigitte Hube und ihre Kolleg:innen sollen ja nicht den Alltag ihrer Klient:innen stemmen, sondern sie dazu ermächtigen, es auch ohne die DIAPP zu schaffen.

Brigitte Hube von der DIAPP in einer ihrer Entspannungsgruppen.

Es geht immer jemand ans Telefon

Von den 30 DIAPP-Mitarbeitenden ist immer jemand erreichbar. Brigitte Hube ist meist im Bereich Braunschweig/Wolfenbüttel unterwegs. Im Schnitt begleitet sie acht Klient:innen parallel, trifft sich mit drei bis vier Klient:innen pro Tag – und ist dabei ziemlich flexibel. „Die Termine können auch mal länger dauern“, berichtet die 48-Jährige. „Gibt es eine akute Krise bei einer Person, rufe ich bei meinem nächsten Termin an und sage, dass es später werden könnte.“

Vertrauen ist Voraussetzung

Aber an diesem Tag gibt es keine akuten Krisen. Hube liegt in ihrem Zeitplan und ist schon auf dem Weg zu Arnold Müller (Name von der Redaktion geändert). Schon vor einigen Jahren hat sie ihn begleitet. Als er nach einem Klinikaufenthalt wieder auf die Hilfe des DIAPP angewiesen ist, fragt er gezielt nach Brigitte Hube. „Die Arbeit hat viel mit Vertrauen zu tun. Es ist schließlich nicht leicht, sich einzugestehen, dass man auf Unterstützung angewiesen ist“, so die Begleiterin.

Keinen Druck machen

Gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen wie einer Sozialphobie, einer Depression oder einer Angststörung kann soziale Interaktion zur echten Herausforderung werden. Hube begegnet ihnen mit Empathie – und macht ihnen keinen Druck: „Wenn sich mir jemand noch nicht öffnen kann, lasse ich dieser Person noch etwas Zeit. Dann ist sie einfach noch nicht so weit.“

„Wenn sich mir jemand noch nicht öffnen kann, lasse ich dieser Person noch etwas Zeit. Dann ist sie einfach noch nicht so weit.“


Brigitte Hube

Gegen Frust ankämpfen

Müller fällt es ebenfalls schwer, seinen Tag zu strukturieren. Er nehme sich zu viel vor, mache dann gar nichts davon – und sei am Ende des Tages frustriert von sich selbst. Außerdem horte er Dinge. In seinem „Kinderzimmer“ – hier bastelt er an verschiedenen Sachen wie alten Uhren und bringt sie wieder zum Laufen – haben die beiden schon ordentlich ausgemistet.

Der Gerichtsvollzieher steht vor der Tür

Als die psychiatrische Fachkraft Müller das erste Mal traf, fand sie in seiner Wohnung einen ganzen Berg ungeöffneter Briefe vor: Rechnungen, Mahnungen und weitere offizielle Schreiben, die nicht ignoriert werden sollten. Nachdem sie sich einen ersten Überblick verschafften, stießen sie auf eine erschreckende Information: In wenigen Stunden sollte der Gerichtsvollzieher vor Müllers Tür stehen. „Das war wirklich sehr knapp. Wir haben das Geld überwiesen und einen Screenshot der Bestätigung an die Verantwortlichen geschickt – so konnten wir das Ganze gerade noch so abwenden“, erinnert sich Brigitte Hube.

"Das war wirklich sehr knapp. Wir haben das Geld überwiesen und einen Screenshot der Bestätigung an die Verantwortlichen geschickt so konnten wir das Ganze gerade noch so abwenden."


Brigitte Hube

Plötzliche Hürden

Auf Müllers Wohnzimmertisch finden sich auch an diesem Tag einige Briefe, die sie gemeinsam durchgehen. „Ich habe kein Problem damit, einen einzigen Brief zu öffnen“, erklärt Müller. „Doch ab einer Zahl X – die ich selbst nicht genau kenne – habe ich da plötzlich eine Sperre und ich öffne gar nichts mehr.“

Sich gemeinsam Dingen stellen

Müller ist seit einigen Monaten arbeitslos. Hube hilft ihm dabei, Formulare auszufüllen und einzureichen, damit er Hilfe vom Staat bekommt. Denn gerade diese Flut an Formularen kann auf jemanden wie Müller, der ohnehin ungern Briefe öffnet und Formulare ausfüllt, zum Hindernis werden. „Der Umgang mit Ämtern ist nicht einfach, da musste auch ich mich erst einmal reinfinden. Aber mittlerweile weiß ich, wen ich wo anrufen kann, wenn etwas unklar ist“, sagt die Cremlingerin. So gehen sie die Briefe Schritt für Schritt gemeinsam durch. Erledigtes wird abgeheftet und geplant, wann Müller Antwortschreiben zur Post bringt.

Brigitte Hube von der DIAPP bei einer ihrer Entspannungsgruppen in Braunschweig

Entspannung in der Gruppe

Doch die psychiatrische Fachkraft trifft ihre Klient:innen nicht nur einzeln. Seit vergangenem Dezember bietet Brigitte Hube im Quartier St. Leonhard Gruppenstunden unter dem Titel „Bewegung und Entspannung“ an. Viermal im Monat leitet sie hier Yoga, Quigong, Tanzen und Entspannungsübungen mit Bällen an. Abschließend gibt es immer eine kleine Geschichte. Neuerdings bietet sie auch traumasensitives Yoga für traumatisierte Frauen an. Neben dem Raum, in dem das Ganze stattfindet, gibt es noch einen Raum. Wird jemandem etwas zu viel, kann diese Person sich zurückziehen.

Mitfühlen statt mitleiden

Hube ist im Umgang – ob in den Gruppenstunden oder der Begleitung – freundlich, aber bestimmt, hat außerordentliches Feingefühl. „Wer nicht empathisch ist, ist bei diesem Job falsch“, findet sie. Die Arbeit ist nämlich durchaus nicht immer leicht, bei manchen ist der Leidensdruck enorm. Brigitte Hube sagt: „Ich fühle mit, aber ich leide nicht mit.“ So findet sie einen Weg, sich in ihre Klient:innen hineinzuversetzen, dennoch professionell zu bleiben, Vertrauen zu gewinnen – und ihnen so eine Rückkehr in einen geregelten Alltag zu ermöglichen.

Kontakt zum DIAPP

DIAPP gGmbH
Bechtsbütteler Str. 2b
38110 Braunschweig-Bevenrode
t 0531 23866 888
f 0531 23866 889
diapp@diakoniestation38.de
Ansprechpartnerin: Andrea Bruns

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