Symbolbild

Für ihre Stücke gehen die Endlichs auch auf biografische Spurensuche

Die Bühne ist dunkel, düstere Musik klingt aus den Lautsprechern, die Darsteller:innen stehen in weißen Hemden und dunklen Hosen auf der Bühne. Einer von ihnen ist an langen, weißen Tüchern festgebunden, er versucht sich vergeblich loszureißen, wird aber im Folgenden mit dem Tuch umwickelt. Aus dem Off wird der Artikel 1 des Grundgesetzes vorgelesen.

Das Stück „Würde los!“ des Theaters Endlich der Evangelischen Stiftung Neuerkerode und des Theaterpädagogischen Zentrums in Braunschweig beginnt. Das Ensemble besteht aus sieben Schauspieler:innen mit geistiger Behinderung, die die Zuschauer im weiteren Verlauf mit vielen Formen und Interpretationen von Würde konfrontieren – Menschenrechte im Allgemeinen sind ein Thema, aber auch die Frage nach dem Recht auf Leben und die Erfahrungen der Schauspieler:innen selbst werden verarbeitet. „Es ist ein Ansatz im modernen post-dramatischen Theater, und damit auch bei uns, sehr viel Biografiearbeit in die Bühnenstücke einfließen zu lassen“, sagt Regisseur Martin von Hoyningen-Huene. Besonders identifiziert haben sich die Schauspieler:innen mit Hans Christian Andersens Märchen „Das hässliche Entlein“, das von Ausgrenzung, Mobbing und vom Anderssein handelt, und deshalb Einzug in das Stück gehalten hat. So geht es in der zu Beginn dargestellten Szene um das eine Ei mit dem vermeintlichen Entlein − der eingewickelte Schauspieler ist Holger Denecke −, das aus der Reihe fällt und noch nicht schlüpfen will.

Foto: Faktotum

„Wir haben uns in der Vorbereitung auf das Stück zusammengesetzt und darüber gesprochen, was Menschenwürde ist, was sie für uns und andere bedeutet“, erzählt Denecke. Und von Hoyningen-Huene ergänzt: „Bei ‚Würde los!’ war die Besonderheit, dass wir auf einer theoretischen Ebene darüber gesprochen und dazu philosophische Ansätze einbezogen haben.“ Das sei sehr kompliziert und vom Ensemble auch nicht immer in Gänze verstanden worden. Trotzdem sei es wichtig, sich dieser Aufgabe zu stellen. „Da wurden verschiedene Ansätze der Würde-Theorie, etwa Kants Selbstzweckformel, diskutiert und auf Fragestellungen zur Unantastbarkeit des Lebens, der Selbstbestimmung oder zum Recht auf Arbeit angewandt“, resümiert von Hoyningen-Huene.

Endlichs mit gesellschaftskritischem Blick

Die Endlichs, wie sie auch genannt werden, bestehen seit 25 Jahren und spielen professionelles Theater. Holger Denecke ist Gründungsmitglied, Martin von Hoyningen-Huene kam 2001 dazu. Philosophisch, politisch oder poetisch seien in all den Jahren viele verschiedene Themen aufgearbeitet und in immer wieder neue Darstellungsformen gegossen worden, so von Hoyningen-Huene. Dass vorwiegend gesellschaftskritische Stücke dabei seien, hat seinen Ursprung in der Gründungszeit der Endlichs: Vorbild sei die belgische Theatergruppe Tartaar gewesen, die Themen wie Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung oder Psychiatrieaufenthalte auf der Bühne verarbeitete – das haben die Schauspieler:innen in ihre Konzeption übernommen. Für ihre Aufführungen recherchieren sie, improvisieren, probieren und entwickeln ihre Themen und verbinden sie in eine entsprechende Performance.

Für dieses Stück bin ich auf Spurensuche in meiner Biografie gegangen. Ich habe meine Eltern interviewt und mich selbst gefragt, was zum Beispiel in meiner Schulzeit mit mir passiert ist, ob ich gemobbt oder ausgegrenzt worden bin. Ich habe aber sehr nette Mitschüler gehabt“, sagt Jelena Bernhofen, die seit zehn Jahren den Endlichs angehört. Weiter versetzten sich die Schauspielerinnen und Schauspieler in verschiedene Situationen hinein, etwa in den Punkt im Märchen des hässlichen Entleins, in dem die Mutter zum Kind sagt, dass sie es sich weit weg wünsche. „Ich habe traurige Musik aufgelegt und gesagt, sie sollen sich vorstellen, ihre Eltern würden das zu ihnen sagen. Und dann haben wir nach Bewegungen gesucht, die das ausdrücken können“, erzählt von Hoyningen-Huene. Schauspielerin Jelena Bernhofen habe diese Szene sehr bewegt: „Ich habe mich so sehr hineinversetzt, dass mir aus lauter Mitgefühl die Tränen kam“, erzählt sie.

Biografiearbeit ist wesentlicher Teil des Theater Endlich

Emotional Auf und Ab geht es am Ende des Stücks zu, eingeleitet mit einer rumpelstilzchenartigen Gerichtsszene und der Frage nach der Schuld, das schließlich in ein versöhnliches Finale mündet. Der Zuschauer erkennt an den Schauspielerinnen und Schauspielern − diese haben nun einen Frack angezogen und tapsen auf der Bühne in alle Richtungen −, dass man nicht ein Schwan sein muss, um schön zu sein, sondern das Schönheit eine Frage der Perspektive ist und Pinguine unter Wasser mindestens genauso schön, wenn nicht sogar schöner sind, als Schwäne.

Endlichs-Gründungsmitglied Holger Denecke (links) mit Thomas Hoops im Stück "Würde los!". Foto: Faktotum
Das könnte Sie auch interessieren