Symbolbild

Nur ein bisschen müde

Der jüngste Bewohner in der Senioren-WG LandLebenLachtetal in Lachendorf ist sieben Jahre jünger als Hella Asabdaftari selbst. Doch wenn die Bewohnenden abends zur Ruhe kommen, fängt die 75-Jährige ihren Dienst erst an. „Ich gehe von Zimmer zu Zimmer und unterhalte mich mit den Bewohnenden, bevor ich mich an die Aufgaben mache, die über den Tag liegen geblieben sind“, erzählt sie. Mit ihren 75 Jahren war sie schon einmal in Rente, doch das war nichts für sie. So kam sie zurück ins Arbeitsleben und erfüllte sich einen Traum, den sie schon seit 70 Jahren in sich trägt – beruflich Menschen zu helfen.

Woher dieser Traum kommt, daran erinnert sich Asabdaftari ganz genau. „Als ich fünf Jahre alt war, ist direkt vor unserem Haus eine Frau angefahren worden. Alle standen um sie herum und ein Mann sagte: ,Fasst sie nicht an! Die Feuerwehr ist gleich da. Die wissen, was zu tun ist“, erinnert sie sich. „Das hat mich nachhaltig beeindruckt.“ Für sie steht fest: „Wenn ich groß bin, werde ich Feuerwehrmann . Dann kann ich allen Menschen helfen.“ Als sie dann mit 14 Jahren ein Buch über Albert Schweizer liest, ändert sich der Wunsch ein wenig: Nun will sie Krankenschwester in Lambarene werden. Und sie wäre nicht Hella Asabdaftari, wenn sie nicht zur Tat schreiten würde. Noch während der Schulzeit hilft sie an den Wochenenden im hannoverschen Krankenhaus Friederikenstift  aus, lernt Essen verteilen,  Betten machen, oder auch Bettpfannen leeren.  Dann, ohne das Wissen ihrer Eltern geht sie zwei Jahre später mit einer gefälschten Unterschrift ihrer Mutter von der Schule ab und will auf die Mädchenberufsschule, um ihren Traum zu verwirklichen.

“Wenn ich groß bin, werde ich Feuerwehrmann. Dann kann ich allen helfen.”

Ihre Eltern, die ein Uhren- und Schmuckgeschäft betreiben, bekommen Wind von der Sache. Dass ihre Tochter Krankenschwester wird, kommt für sie nicht in Frage. Sie stellen ihrer Tochter ein Ultimatum. „Sie haben gesagt, entweder du machst bei uns eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann oder du gehst zurück zur Schule“, sagt sie. Zur Schule zurück möchte sie nicht, also beugt sie sich dem Willen ihrer Eltern und macht die Ausbildung.

In ihrer Freizeit kommt sie ihrem Traum jedoch ein Stückchen näher: Mit 16 tritt sie in die Johanniter-Unfallhilfe ein und engagiert sich hier ehrenamtlich, absolviert mehrere Einsätze im „Taubblinden“-Zentrum. Wenn sie nicht arbeitet, hilft sie. Ihre Energie ist unbeschreiblich. So erinnert sich Hella Asabdaftari noch gut an Weihnachten 1967. „Ich langweilte mich an den Feiertagen sehr und fragte bei der Bahnhofsmission nach, ob ich als Johanniterin nicht bei irgendetwas helfen könnte“, erinnert sie sich. Das kann sie – und macht fortan an den Wochenenden 14 Stundendienste, in denen sie Aussiedlern, die teilweise aus Ostsibirien kamen und sieben Tage und Nächte unterwegs waren, von einem Bahnstieg abholte, wo ihr diese von einem Zugbegleiter samt Papieren übergeben wurden und sie diese zum Zug nach dem Auffanglager Friedland brachte.

Irgendwann bewirbt sie sich auch bei der Feuerwehr. „Ich habe extrem viel Sport wie beispielsweise Kugelstoßen gemacht und war sehr kräftig“, berichtet sie. „Eigentlich hätten sie mich gerne genommen – aber als Frau ging das nicht so einfach.“ Der damalige Verantwortliche habe Angst gehabt, dass sich weitere Frauen bewerben, wenn er erst einmal eine Frau einstellt und entscheidet sich deshalb dagegen. Asabdaftari bewirbt sich auch bei Bundeswehr und Polizei. Hier hätte man sie mit Kusshand genommen – allerdings nur in der Schreibstube. Das lehnt sie ab.

Hella Asabdaftari

1970 lernt sie ihren Mann kennen und entfernt sich von dem sozialen Engagement. Auch wenn es zunächst nichts Soziales ist – ihr beruflicher Werdegang ist vielseitig wie sie selbst. Nach der Ausbildung ist sie noch vier Jahre in dem Uhren- und Schmuckgeschäft ihrer Eltern tätig. Als ihre Tochter geboren wird, sucht sie zunächst nach einer Teilzeitstelle. Asabdaftari arbeitet später in einem Dentallabor, macht dann ein Fachstudium zur Wirtschaftsassistentin Fremdsprachen und Korrespondenz, legt sogar die IHK-Prüfung für Spanisch und Schreibmaschine ab. „Das habe ich mit großem Vergnügen gemacht und war da echt gut drin“, erzählt sie.

Mit ihrem Mann macht sie sich im Bereich Mikrofilm selbstständig, arbeitet nebenbei in einer Filmproduktionsfirma in Hannover – bei einem Filmemacher, der als Kameramann sogar mal für einen Oscar nominiert war. Später bewirbt sie sich in einer Senioreneinrichtung. Doch auch hier ist es wieder nicht die Pflege, sondern die Verwaltung, in der sie 25 Jahre in verschiedenen Bereichen tätig ist.

„Es sind gut 49 Jahre vergangen, in denen sich mein Leben mehr um das Kaufmännische und Wirtschaft gedreht hat, bis ich erst nach Eintritt in die Rente endlich wieder zu meinem Jugendtraum gefunden habe“, sagt die 75-Jährige. 2014 beendet sie ihre berufliche Laufbahn zunächst und geht in Rente. „Da ich aber schon vorher wusste, dass das nichts für mich ist, habe ich mich in einem Seniorenheim beworben – endlich sollte es für mich in die Pflege gehen“, sagt Asabdaftari. So dauert ihre Rente nur elf Tage. Aber auch hier kommt es wieder anders als gedacht. Als die Leitungskraft ihre Qualifikationen sieht, möchte sie sie für die Verwaltung gewinnen – und kann sie schließlich überzeugen.

Ein halbes Jahr später ist es dann aber wirklich so weit: Im April 2015 beginnt sie als Präsenzkraft in der Senioren-WG LandLebenLachtetal in Lachendorf, eine Einrichtung der Diakoniestation Eschede-Lachendorf, Teil der Diakoniestationen Harz-Heide. Sie sagt: „Nach so langer Zeit arbeite ich jetzt endlich in der Pflege.“ Sie genießt die Arbeit mit den Menschen, mit ihnen Zeit zu verbringen und ihnen zu helfen.

“Nach so langer Zeit arbeite ich jetzt endlich in der Pflege.”

Auch ein Bandscheibenvorfall kann sie nicht davon abbringen, weiterzuarbeiten. Sie übernimmt seither die Nachtbereitschaft, die körperlich weniger anstrengend ist. „Ich erledige abends die Aufgaben, die über den Tag liegen geblieben sind“, sagt sie. „Und davor oder danach gehe ich durch die Zimmer, spreche mit den Bewohnenden, die sich über ein Gespräch freuen.“

Ginge es nach ihr, könnte es noch einige Zeit so weitergehen. Sie erzählt: „Mein Vater hat gearbeitet, bis er 78 war. Das wollte ich auch so machen.“  Doch es kommt anders. Das Hochwasser zum Jahreswechsel 2023/2024 erfasst auch ihr Zuhause in Eicklingen. Der Keller steht unter Wasser. „Mein Mann und ich haben 15 Tage und 14 Nächte fast ununterbrochen Wasser weggeschleppt – bis zu 120 Liter in der Stunde“, erinnert sich Hella Asabdaftari. Beide schlafen in den zwei Wochen kaum. Das kombiniert mit der körperlichen Extremsituation fordert seinen Preis. Sie spürt die Nachwirkungen bis heute. Ihre Kräfte sind aufgebraucht. „Zum ersten Mal in meinem Leben brauche ich Ruhe“, sagt sie

Nun hat sie zum 30. April gekündigt – einen Tag vor ihrem 76. Geburtstag. Sie will zu Kräften kommen, sich um Haus und Garten und vor allem sich selbst kümmern. Wie lange das wohl gut geht, ohne Arbeit? „Ich habe mir vorgenommen, in Rente zu gehen“, sagt sie. „Aber das muss ja nicht für immer sein.“

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