Schüler:innen der HEP-Schule protestieren

Gegen den Fachkräftemangel in der Behindertenhilfe

Anlässlich des Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am 5. Mai machen Schüler:innen und Lehrkräfte der Fachschule Heilerziehungspflege gemeinsam mit Bürger:innen aus Neuerkerode auf den drohenden Fachkräftemangel in der Behindertenhilfe aufmerksam und fordern die Abschaffung des Schulgeldes. 

"Zurzeit haben wir noch genug Fachkräfte in der Heilerziehungspflege, aber der Fachkräftemangel droht bundesweit. Eine Schulgeldfreiheit in der Heilerziehungspflege würde die Ausbildung wesentlich attraktiver machen und diesem Mangel entgegenwirken. Besonders wichtig ist dieses, da es immer noch keine Ausbildungsvergütung in diesem Bereich gibt", erklärt Annegret Jäkel, Leiterin der Fachschule Heilerziehungspflege in Neuerkerode. 

Bessere Ausbildungsbedingungen für ihre Auszubildenden – dafür ist Annegret Jäkel, schon lange mit viel Engagement im Einsatz. Bis in den niedersächsischen Landtag hat ihr Weg sie im vergangenen Jahr geleitet. Sie hat Gespräche geführt, Aktionen gestartet, hat sich mit weiteren Akteuren verbündet, Schreiben verfasst und sich den Mund fusselig geredet. Bislang ohne Erfolg. Obwohl Hilfe längst zugesagt war. Worum es ihr und ihren Mitstreitern geht?

„Schulen in freier Trägerschaft, wie unsere in Neuerkerode, erhalten im Gegensatz zu staatlichen Schulen vom Land nicht die volle Finanzierung, sodass sie auf Schulgeld durch die Auszubildenden angewiesen sind“, so Jäkel.

An der Fachschule in Neuerkerode beträgt das Schulgeld derzeit 95 Euro monatlich, um diese Finanzierungslücke zu schließen. Zugesagt sei eine Finanzhilfe schon seit den 1990er- Jahren. „Im vergangenen Herbst hatten wir große Hoffnung, dass es klappt.“ In einem ersten Haushaltsentwurf des niedersächsischen Finanzministeriums wurde das Thema zunächst berücksichtigt. Dann die Ernüchterung: Bis in das finale Papier schaffte die Finanzierung es nicht.
„Dadurch werden freie Schulen und deren Schüler im Vergleich zu staatlichen Schulen benachteiligt“, kritisiert auch Marcus Eckhoff, der als Geschäftsführer der Neuerkeröder Wohnen und Betreuen (WUB) auf die Nachwuchskräfte angewiesen ist. "Mit Blick auf den Fachkräftemangel wirkt sich das auch erheblich auf die künftige Versorgung von Klienten in der Eingliederungshilfe aus.“

Holger Denecke im Portrait

„Wir wünschen uns, dass die Politik die wichtige Arbeit der Heilerziehungspflege anerkennt. Wenn sich wegen der Kosten bald niemand mehr für eine Ausbildung in diesem Beruf entscheidet, können Menschen mit Behinderung irgendwann nicht mehr gut unterstützt werden. Sie sind dann die Leidtragenden, das darf nicht passieren!“ Holger Denecke, Sprecher Bürgervertretung Neuerkerode.

Erweiterte Vergütungsmöglichkeiten während der Ausbildung in der esn

Weil eine Schulgeldfreiheit nach einer Antwort des niedersächsischen Kultusministeriums aufgrund knapper Finanzmittel weiterhin nicht zu erwarten ist, haben die esn und die WUB nun reagiert. „Es wurden die Voraussetzungen geschaffen, um zum Ausbildungsstart im Sommer 2022 allen neuen Schülern Ausbildungsverträge mit einer Vergütung von etwa 1.000 Euro pro Monat anbieten zu können“, freut sich Annegret Jäkel. Das sei ein sehr besonderes Modell in der Heilerziehungspflege. „Der Großteil erhielt bislang je nach Ausbildungsjahr variierend eine wesentlich geringere Aufwandsentschädigung.“ Der Ausbildungsvertrag mit Vergütung bringe allerdings auch andere Bedingungen mit sich, erläutert Jäkel. So leisten Auszubildende unter anderem mehr Praxisarbeit in der WUB und sind beispielsweise in Wohngruppen des inklusiven Dorfes Neuerkerode und in Braunschweig im Einsatz. „Das neue Modell macht die Ausbildung attraktiver“, sagt Jäkel. Doch trotz Vergütung sei die Forderung nach Schulgeldfreiheit nicht vergessen und weiterhin nötig, da die Heilerziehungspflege mit anderen sozialen Berufen gleichgestellt werden müsse, so Jäkel. „Im kommenden Herbst stehen Nachverhandlungen für den verabschiedeten Finanzhaushalt an. Unser Ziel ist es weiterhin, dass Schulen in freier Trägerschaft dort berücksichtigt werden.“

„Der Auftrag eines Heilerziehungspflegers ist es, ein gesamtgesellschaftliches Anliegen umzusetzen, sprich: Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Es ist nicht vertretbar, dass Menschen, die diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe übernehmen wollen, dafür auch noch dafür bezahlen. Soziale Berufe insgesamt müssen sowohl wirtschaftlich als auch arbeitsbelastungstechnisch attraktiv werden.“ Susanne Becker, Lehrkraft.

Um Chancengleichheit im Ringen um zukünftige Fachkräfte zu gewährleisten, ist eine Abschaffung des Schulgeldes unumgänglich. Die esn bietet eine Vielzahl abwechslungsreicher Angebote und sollte bei der Auswahl der Ausbildungsstätte für künftige Heilerziehungspfleger und Heilerziehungspflegerinnen wegen eines finanziellen Mehraufwands keinesfalls außer Acht gelassen werden.“ Johanna Trillhose, Heilerziehungspflegerin in der Tagesförderung Natur und Umwelt der WuB.

Eine Welt ohne HEPs?

Wie sähe eine Welt ohne Fachkräfte aus der Heilerziehungspflege aus? Im Rahmen eines Projektes haben Auszubildende unserer Fachschule Heilerziehungspflege gemeinsam mit Neuerkeröder Bürgern Videos erstellt und Interviews gegeben. Vorausgegangen waren Interviews mit Schülerinnen sowie mit Menschen mit Behinderung. Dort wurde der Frage nachgegangen, welche Art der Unterstützung besonders wichtig ist und was ohne Fachkräfte fehlen würde. Die Darsteller:innen mit Behinderung arbeiten aktiv im professionellen sowie im theaterpädagogischen Bereich der esn.

HEPs im Interview

Was macht die Arbeit als Heilerziehungspfleger:in aus, wieso ist sie so wichtig und wird doch von der Politik vergessen? 

Infos zur Ausbildung

Mehr Informationen über die Ausbildung und die verschiedenen Vergütungsmodelle in der Heilerziehungspflege. 

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