Symbolbild

Wie wäre es mit einem Dry Mai oder einem Dry November?

Ein Monat Verzicht – in diesen Tagen freuen sich etliche Menschen darüber, dass sie vier Wochen ohne Alkohol im sogenannten Dry January geschafft haben. Aber wie sollte es nach der 31-tägigen Alkohol-Pause bestenfalls weitergehen? Darüber haben wir mit Liesa Venikov, Einrichtungsleiterin der Lukas-Werk Fachambulanz Wolfenbüttel, und Jessica Konik, Suchttherapeutin in der Fachambulanz, gesprochen.

Die Idee des Dry January verbreitet sich immer mehr. Wie sinnvoll ist das Konzept eines Monats ohne Alkohol?
Jessica Konik: Der Januar ist natürlich prädestiniert als Verzichtsmonat. Hinter uns liegen Weihnachten und Silvester – Feiertage, an denen häufig viel konsumiert wird. Da liegt das Ziel nahe, im neuen Jahr bewusster zu leben und sich bewusster zu ernähren. Und das ist auch sinnvoll. Gleichzeitig bin ich dafür, sich auch im Laufe eines Jahres zu überprüfen und zu fragen: Brauche ich bestimmte Dinge wirklich oder kann ich darauf verzichten? Das muss nicht nur der Januar sein, sondern man könnte auch mal einen Dry Mai oder den Dry November machen.

Liesa Venikov: Der Körper braucht etwa 21 Tage, um sich an neue Gewohnheiten und Strukturen zu gewöhnen. Von daher kann der Dry January der Beginn einer längeren Abstinenzphase sein. Wichtig ist, in diesen vier Wochen genau hinzuschauen und sich zu beobachten. Ist mir der Verzicht leichtgefallen? Geht es mir besser? Oder habe ich bemerkt, dass der Verzicht schwierig für mich war? Das ist ja auch ein wertvoller Hinweis. Dann sollte ich mich fragen: Woher kommt das? Wie konsumiere ich? Warum, wann und mit wem konsumiere ich? Und im Zweifel: Brauche ich eventuell Hilfe oder kann ich mich zumindest mit jemandem dazu austauschen?

Diese Selbstreflexion ist besonders wichtig, damit ein Dry January nachhaltig wirken kann.

Wie gehen Sie als Suchtberater mit dem Thema Alkohol um? Machen Sie auch beim Dry January mit?
JK: Ich trinke vielleicht vier Mal im Jahr Alkohol, von daher ist das für mich nicht relevant.

LV: Ich komme gerade aus mehr als viereinhalb Jahren, in denen ich aufgrund von Schwangerschaften und Stillzeit gar nichts getrunken habe. Das erste Mal Alkohol nach dieser langen Zeit war interessant, weil der Körper tatsächlich noch sensibler auf eine kleine Menge Alkohol reagiert hat, als ich es erwartet hatte. Generell konsumiere ich Alkohol sehr moderat zu besonderen Anlässen.

Positive Effekte

Was passiert bei einem vierwöchigen Verzicht auf Alkohol?
JK: Rein körperlich normalisieren sich zum Beispiel die Leberwerte. Das gilt nicht für Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung; das möchte ich betonen. Aber für Menschen, die im gesellschaftlich anerkannten Rahmen trinken, sind hier nach vier Wochen positive Effekte auf die Leber zu verzeichnen. Es geht der Irrglaube rum, dass Alkohol beim Einschlafen hilft. Aber das Gegenteil ist der Fall. Alkohol hemmt die Schlafphasen; die Leber arbeitet die ganze Zeit. Ohne Alkohol stellt sich nach kurzer Zeit ein besserer Schlaf ein. Davon berichten Patienten schon nach zwei Wochen.

LV: Generell ist man nach vier Wochen ohne Alkohol deutlich erholter. Es können sich auch depressive Verstimmungen reduzieren, vorausgesetzt man hat keine zusätzliche psychische Erkrankung, die belastet. Auch Hautveränderungen gehen bei Abstinenz zurück; und wer weniger oder gar nicht trinkt, nimmt leichter ab. Alkohol ist extrem kalorienreich; der Verzicht begünstigt eine Gewichtsabnahme.

Man hat den einen Monat geschafft: Wie geht es dann im besten Fall weiter? Sollte man komplett verzichten? Sollte man feste Regeln für den Konsum einführen?
LV: In der Therapie arbeiten wir viel mit Handlungsstrategien, die helfen, das Verlangen zu reduzieren. Eine der wichtigsten Strategien ist Innehalten und Überlegen, also die Situation zu verlassen, herauszugehen und einmal tief durchzuatmen. Und überlegen Sie: was möchte ich gerade. Das hilft bei den meisten unserer Patient:innen und ist natürlich auch anwendbar für Menschen, die keine Abhängigkeitserkrankung bewältigen müssen. Und machen Sie sich einen Plan zum Beispiel, wenn sie auf eine Feier gehen. Gesellschaftlich ist Alkohol leider sehr etabliert.

Gehen Sie verwunderte Fragen, warum sie denn heute nichts trinken möchten, schon einmal im Kopf durch und formulieren Sie vielleicht auch eine passende Antwort. Solche Gedankenprozesse im Vorfeld können Sicherheit geben.  

JK: Besser schlafen, fitter und gesünder sein – Wer diese positiven Auswirkungen bemerkt, kommt bestenfalls selbst zu dem Schluss, dass eigentlich nichts dafürspricht, Alkohol trinken zu wollen. Oder eben nur in besonderen Situationen. Dabei sollte man sich immer die Frage stellen: warum möchte ich jetzt Alkohol trinken? Geht es ausschließlich um Genuss? Oder möchte ich dadurch etwas Anderes bewirken, zum Beispiel vermeintlich besser einschlafen oder bestimmte Gedanken loswerden, oder von einem stressigen Tag runterkommen. All das sind keine guten Gründe. Eine halbe Stunde abzuwarten hilft oft schon. Vielleicht rufen Sie jemanden an oder gehen spazieren.

Jeder Tropfen Alkohol kann schädlich sein

Wie stehen Sie zu alkoholfreiem Bier, Sekt etc.?
LV: Das ist sicherlich für Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit anders zu bewerten als für gesunde Menschen. Auch ein alkoholfreies Bier kann triggern und das Verlangen nach einem normalen Bier fördern. Unser Suchtgedächtnis weiß auch, wie sich eine Flasche anfühlt. Es weiß, wie sich das Öffnen anhört, wie es riecht. Wenn man das alles zusammen nimmt, kann jemand, der längere Zeit trocken gelebt hat, auch durch ein alkoholfreies Bier rückfällig werden.

Ab welchen Mengen muss man sich Gedanken über seinen Alkoholkonsum machen?
LV: Es gibt Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO, wonach 20 Gramm reiner Alkohol – das entspricht einem kleinen Bier – pro Tag für Frauen und 40 Gramm – etwa ein großes Bier – für Männer an fünf von sieben Tagen okay sind. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen setzt die Werte noch etwas niedriger an. Und auch die WHO weist daraufhin, dass jeder Tropfen Alkohol schädlich und krebserregend sein kann, und dass es beim Alkoholkonsum keine gesundheitlich unbedenkliche Menge gibt. Aus meiner Sicht sollte man sich immer wieder die Frage stellen: warum trinke ich? Es gibt bestimmte Zeiträume im Leben, in denen Alkohol nichts zu suchen hat: wenn ich ein Fahrzeug führe, bei der Arbeit, Schwangerschaft, Stillzeit oder wenn ich bestimmte Medikamente einnehme. Und wenn jemand es zu solchen Zeiten nicht schafft auf den Alkohol zu verzichten, ist es tatsächlich ein Hinweis auf missbräuchlichen Konsum.

Ich-Botschaften

Was raten Sie Menschen, die bei Personen in ihrem Umfeld feststellen, dass er/sie zu viel trinkt? Sollte man das ansprechen und wenn ja: wie?
JK: Häufig ist es so, dass Angehörige genauso hilflos sind wie Betroffene selbst. Ich rate den Menschen, bei Ich-Botschaften zu bleiben. Keine Vorwürfe, sondern sagen, was ich wahrnehme und fühle. Das können Sätze sein wie: Ich sorge mich um dich. Ich stelle fest, dass du in letzter Zeit immer mehr trinkst. Ich würde mir wünschen, dass du dir Hilfe holst. Ich würde mir wünschen, dass wir zusammen eine Beratungsstelle aufsuchen. Ich würde mir wünschen, dass wir es schaffen eine Veränderung einzuleiten.

LV: Eine Abhängigkeitserkrankung betrifft fast immer das ganze Netzwerk und Umfeld des Betroffenen. Häufig wird von Menschen im Umfeld von Betroffenen aus Scham oder Unsicherheit viel zu lange ein Lügengerüst aufrechterhalten. Deshalb bieten wir auch Beratung und machen Angebote für Angehörige ohne die Betroffenen, die vielleicht selbst noch gar nicht so weit sind, sich Hilfe zu holen. Und wir haben eine wunderbare Selbsthilfegruppe unter Angehörigen, die sich gegenseitig unterstützen und austauschen.

Mehr Akzeptanz, weniger Werbung und 0,0 Promille am Steuer

Wenn Sie morgen neue gesellschaftliche Regeln und Gesetze für den Umgang mit Alkohol einführen könnten: Wie würden die aussehen?
JK: Ich wünsche mir mehr Akzeptanz und weniger Stigma. Alkoholabhängigkeit geht durch alle sozialen Schichten und kann jeden von uns treffen. Das kann aufgrund einer genetischen Disposition passieren oder weil jemand den richtigen Zeitpunkt verpasst hat, um sich Hilfe zu holen. Und auch ein großer Wunsch meinerseits wäre eine gesetzliche Regelung beim Verkauf von Alkohol an Supermarktkassen. Vielleicht kennen Sie dieses Quengel-Phänomen von Kindern, die an der Kasse stehen und unbedingt noch diese eine Süßigkeit haben wollen, die man kurz vor dem Bezahlen kaufen kann. Eltern wissen, was da abgehen kann. Und da stehen oft an der Kasse auch die Flachmänner. Die finde ich dort ebenfalls total unplatziert. In anderen europäischen Ländern gibt es so etwas nicht. Holland ist das beste Beispiel. Im Unterschied zum Kind schmeißt sich der alkoholabhängige Mensch nur nicht auf den Fußboden, sondern nimmt sich im letzten Moment vor dem Bezahlen die Flasche und geht dann halt einfach raus.

LV: Ich wünschte mir auch, dass das Thema Werbung anders geregelt wäre. Auch wenn Erwachsene in der Werbung auftauchen, richtet sich diese doch viel mehr an ein jüngeres Publikum. Erwachsene sind schon längst auf diesem Zug drauf. Aus meiner Sicht darf Alkohol nicht beworben werden. Und erst recht nicht, wenn man Menschen damit suggeriert, man würde den Regenwald oder irgendwas retten. Beim Thema Alkohol am Steuer ist mir unverständlich, warum wir noch immer keine 0,0-Promille-Regelung haben. Was hat Alkohol am Steuer zu suchen? Wenn ich doch weiß, dass ich Auto fahre, warum ist es mir so wichtig, dann dieses eine Bier trinken zu können? Was bringt mir diese eine Flasche Bier? Zu guter Letzt würde ich mir auch wünschen, dass ein bewusster Verzicht selbstverständlicher wird: Du isst kein Fleisch? Wunderbar. Du trägst kein rot? Toll. Du trinkst nicht? Deine Entscheidung. Eine solche Akzeptanz würde helfen. Stattdessen gehört Alkohol gesellschaftlich immer noch völlig ohne Frage dazu oft zu oft dazu.

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