Einfach beglückend

„Waltraud, möchtest du vielleicht deine Karte vergolden?“ Restauratorin Anja Stadler holt ein kleines Trägerpapier mit Blattgold heraus und zeigt es der Bewohnerin. Die hat eine Karte selbst bemalt und nun fehlt noch der letzte Feinschliff.

Seit einem Jahr gibt Anja Stadler ehrenamtlich Kreativ-Kurse im Senioren und Pflegeheim Haus der helfenden Hände im Rittergut Beienrode. Jeden Freitag verbringt sie für mehrere Stunden ihre Zeit in den Wohnbereichen mit den hier lebenden Menschen. Das Haus kennt sie durch ihre Restaurierungstätigkeit im Rokokosaal, „Die Atmosphäre hier ist schön, die Grundstimmung sehr angenehm und es erwarten mich die leuchtenden Augen der Bewohner“, schildert Anja Stadler ihre Eindrücke.

Als Restauratorin ist sie die ganze Woche auf Baustellen unterwegs und arbeitet an Objekten. Hier kann sie ihr Handwerk in der Arbeit mit Menschen weitertragen. „Das Schöne ist, dass wir hier sämtliche Werkstoffe und Anwendungsmöglichkeiten nutzen können, aber in einem ganz anderen Kontext als in meinem Beruf.“ So ist das gemeinsame Malen oft der Auslöser für Interaktion der Bewohner miteinander – da wird schon mal gefachsimpelt, welche Farbe denn nun besser passen würde. Ein anderes Mal sind die einen konzentriert bei der Arbeit, andere wiederum schauen nur zu.

Anja Stadler hat viele Ideen für die inhaltliche Gestaltung ihrer Kurse. Jedes Mal gibt es ein anderes kleines Projekt zu bearbeiten: Da werden Steine oder Holz verziert, Postkarten mit Aquarell gestaltet, Bilder mit Hilfe von Schablonen gemalt oder kleine Kunstwerke aus verschiedenen Materialien geklebt. Zuviel Input würde die Bewohner jedoch überfordern, alle Teilnehmenden arbeiten und gestalten in ihrem Tempo. Anja Stadler lässt ihnen freien Lauf bei der Entscheidung, was sie machen möchten: „Die Bewohner haben ganz tolle eigene Ideen, mit denen sie ihre Sinne schärfen und sensibilisieren. Man lernt ja nie aus!“

1996 wagte Anja Stadler den Schritt in die Selbständigkeit. Seitdem arbeitete sie an Objekten von der kleinen, aber feinen Dorfkirche im tiefsten Harz bis hin zu repräsentativen Aufgaben im Braunschweiger Dom, dem Schloss Wolfsburg und einer mehrjährigen Baubegleitung im Schloss Stolberg. Während dieser Zeit bildete sie außerdem angehende Restauratoren in einem Vorpraktikum aus oder gab Studierenden in ihren Praxissemestern Einblicke in die Herausforderungen des Berufes.

Bei all diesen Tätigkeiten ist es nicht selbstverständlich, die wertvolle Zeit Menschen zu schenken, um mit ihnen kreativ zu arbeiten. Anja Stadler, die bereits zuvor vier Jahre lang in einer onkologischen Rehaklinik Kreativ-Kurse gegeben hat, hat dazu aber eine klare Haltung: „Inzwischen kann und will ich mir diesen Wochenendeinstieg leisten und nehmen. Der Freitag in dieser Runde ist für mich eine Art Cool-Down der Woche. Die Bewohner holen mich vom Alltag ab, mein Kopf wird frei vom Stress der Arbeit und die Freude der Bewohner nehme ich mit ins Wochenende. Das klingt vielleicht kitschig, aber das ist für mich einfach beglückend.“

+++ Zur besseren Lesbarkeit wird auf die Verwendung der Sprachformen weiblich und divers (w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. +++

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