Frau spaziert im Park

Lohnt diese Liebe?

Es war ein Ereignis im Sommer 2020, das Ginger Thomas die Reißleine ziehen ließ. Als sie an diesem Tag von der Arbeit nach Hause kam, tobten ihre Kinder im Garten. Ihr Mann Stefan werkelte an einer Baustelle auf dem Hof der Familie. Es war keine ungefährliche Tätigkeit, sie war nur mit Leiter zu verrichten. Doch als sie ihren Mann sah, wusste die heute 41-Jährige sofort, was los war: Er war sturzbetrunken. Und das in einer Situation, in der er so viel Verantwortung hatte. In dem Moment war ihr klar: So wird sie nicht mehr leben! Sie will, dass er auszieht! Kein Nörgeln mehr, kein „Du musst dich ändern!“. Nach seinem Rausch dann der Entschluss von Stefan: Er will sich in die lang versprochene Therapie begeben. Eine Garantie für den Fortbestand der Beziehung ist das allerdings nicht. Doch es läuft gut seitdem. Das Paar lebt bis heute zusammen, steht einander bei im Kampf gegen die Sucht. Ginger Thomas besucht inzwischen regelmäßig eine Angehörigengruppe des Lukas-Werkes. Sie hat ihre Gedanken aufgeschrieben und möchte damit auch anderen Betroffenen Mut machen.
 

Du bist nicht schuld.

Diese eine Aussage unserer Betreuerin in der Angehörigengruppe berührte mich tief: „Egal, was Sie sagen oder machen, Sie sind nicht dafür verantwortlich, dass ihr Mann trinkt. Diese Entscheidung trifft allein ihr Mann.“ Diesen Satz von einem „Profi“ zu hören, verschaffte mir eine unheimliche Entlastung. Natürlich wusste ich das auch vorher. Und doch war da das Gefühl, eine Mitverantwortung für den Alkoholkonsum meines Mannes zu tragen. Es begleitete mich so viele Jahre. Ich fühlte mich befreit.

Frau sitzt auf Bank in Park

Du bist nicht allein.

Der Austausch in der Angehörigengruppe ist für mich sehr wertvoll, ich fühle mich weniger alleine. Im näheren Umfeld stieß ich nie auf viel Verständnis. Manchmal kam ich mir vor wie das nörgelnde Weib. Es gab Ausreden: „Er trinkt ja nicht ständig ...“ oder „Ein Mann muss auch mal ein Bier trinken dürfen ...“ Vielleicht schon. Zumindest, wenn er sich im Griff hätte. Wenn er seine Grenzen kennen würde. Wenn ich nicht ständig befürchten müsste, dass er wieder entgleitet. Denn das bekommt kaum jemand mit. Damit war ich alleine. Vielleicht habe ich deshalb so lange gebraucht, um meine Grenzen klar zu ziehen – regelmäßiger Alkoholkonsum ist gesellschaftlich akzeptiert. Eine nörgelnde Frau, die nicht mit den Auswirkungen des Konsums leben möchte aber nicht.

Das Problem beim Namen nennen.

Meinen Mann einen Alkoholiker zu nennen, geht mir heute noch nicht leicht über die Lippen. Er ist kein klassischer Trinker. Er trank nicht täglich, aber immer dann, wenn er unter Druck stand. Unfähig, seine Bedürfnisse zu äußern, war der Griff zur Flasche sein Ventil, mit den Unwägbarkeiten des Alltags fertig zu werden. Aufgestaute Ärgernisse soff er sich periodisch wiederkehrend von der Seele. Sie entluden sich in verbal aggressiven Ausbrüchen

Die Hilflosigkeit.

Schlechte Stimmung – Tage im Voraus – war für mich ein untrügliches Zeichen, dass etwas in der Luft lag. Diese Zeiten glichen einem Tanz auf rohen Eiern. Was kann ich sagen? Wie formuliere ich mein Anliegen? Kann ich dieses Problem jetzt ansprechen? Meine Bemühungen, Eskalationen zu vermeiden, waren aufreibend, kräftezehrend und unnütz. Egal, wie ich mich bemühte, es war nie richtig. Es endete regelmäßig in nächtelangen aufgeladenen Diskussionen. Predigten meinerseits: „Ich will, dass du aufhörst...“, „Trink nicht, du kannst es nicht kontrollieren“. Leere Versprechungen seinerseits: „Ich trinke nicht mehr“, „Ich mache eine Therapie“ oder „Du bist mir wichtiger als der Alkohol.“

 

Ginger Thomas sitzt auf einer Bank im Park

Die Entscheidung: So nicht.

Irgendwann habe ich begriffen, dass ich ihn nicht ändern, ihm nicht helfen kann. Dass ich die Verantwortung für mein Leben trage und mir darüber klar werden muss, was ich will und was nicht. Nach dem Schlüsselerlebnis im Sommer 2020 habe ich eine Entscheidung getroffen: mein Leben, meine Zukunft! Eine Entscheidung für mich, keine Forderungen an ihn. Ich hatte mit unserer Beziehung abgeschlossen. Zu viele leere Versprechen, zu viele Enttäuschungen. Unser Plan, zusammen alt zu werden, war gescheitert.

Seine Reaktion: Lass uns kämpfen.  

Er wollte uns nicht aufgeben – und sich auch nicht. Ohne Garantie auf den Fortbestand unserer Beziehung suchte er sich Hilfe und trat die lang versprochene Therapie an. Beim Lukas-Werk fand er die Hilfe, die er brauchte. Mit jeder Sitzung schwand mein Misstrauen, ich schöpfte wieder Hoffnung.

Heute.

Die Eiertänze sind größtenteils Geschichte. Er hat gelernt, Dinge, die ihn stören, offen anzusprechen und nicht in sich hineinzufressen. Das erleichtert unser Zusammenleben ungemein. Die Leichtigkeit, die wir zu Beginn unserer Beziehung hatten, kehrt wieder ein, das Familienleben ist entspannter. Nach den Gruppensitzungen ist er oft fröhlich, manchmal nachdenklich. Ganz egal, wie sie gelaufen sind, sie tun ihm gut – und mir auch.

Eine App zählt seine alkoholfreien Tage ‒ 460 mittlerweile.
Vielleicht klappt es doch mit dem Zusammen-alt-Werden.

Das Lukas-Werk hält in allen sechs Fachambulanzen Angebote für Angehörige vor.

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