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„Wir sind für alle da … noch“

Unter diesem Motto findet heute der Aktionstag Suchtberatung statt. Die kommunale Suchthilfe sieht sich aktuell noch stärker als zuletzt mit den Auswirkungen der Coronapandemie sowie der Energiekrise konfrontiert. Das stellt einige Einrichtungen vor existenzielle Herausforderungen. Das Lukas-Werk hat deshalb an verschiedenen Standorten Kommunalpolitiker:innen eingeladen, um mit Ihnen über die drängendsten Fragen im Bereich der Suchthilfe zu sprechen. Aspekte dazu erläutern Geschäftsführerin Simone Wieczorek, Holger Baumann (Leiter Fachambulanz Goslar) und Christian Horn (Präventionsfachkraft Fachambulanz Braunschweig) auch in unserem Gemeinschaftsinterview.

Warum ist der Aktionstag so wichtig?
Holger Baumann: Wir wollen heute auf die Bedeutung der Suchtberatung und die Situation von suchtkranken Menschen aufmerksam machen. Sucht ist eine stigmatisierte Erkrankung und häufig zu wenig im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Wir setzen uns für eine Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung ein. Auch abseits von illegalen Drogen haben Beratungsstellen wie unser Fachambulanzen des Lukas-Werks eine wichtige Bedeutung: Alkohol ist und bleibt neben Tabak die schädlichste und volkswirtschaftlich bedeutsamste und teuerste Substanz mit 57 Milliarden Euro volkswirtschaftlichen Folgekosten und 62.000 Todesfällen im Jahr
Christian Horn: Zum heutigen Aktionstagen haben wir an verschiedenen Standorten des Lukas-Werks Politiker:innen eingeladen, um sie für unsere Arbeit zu sensibilisieren. Die Verantwortung der Politik als Interessenvertretung der Bevölkerung gegenüber Menschen mit Abhängigkeitserkrankung wird nicht weniger, eher im Gegenteil: Suchtmittel (-missbrauch) und psychische Dauerbelastung werden sich durch Kriegs- und Corona-Angst weiter verstärken. Die volkswirtschaftlichen und sozialen Folgen dürfen nicht ignoriert werden! Suchthilfe kann dazu beitragen die gesellschaftliche Spaltung zu verhindern. Durch präventive Angebot kann Sucht verhindert und Gesundheit erhalten werden.

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In welchen Bereichen Ihrer Arbeit sind die Herausforderungen derzeit am größten?
Simone Wieczorek: Die Sicherung der Finanzierung der Suchtberatungsstellen, die in diesen Krisenzeiten und bei knappen öffentlichen Kassen nicht leichter geworden ist, bleibt eine Hauptaufgabe, um auch in Coronazeiten ein qualifiziertes Beratungsangebot aufrechterhalten und dem Fachkräftemangel entgegenwirken zu können.
Holger Baumann: In der Arbeit mit Klient:innen stellen wir veränderte Konsummuster mit zunehmend polyvalentem Bei- und Mischkonsum fest. Das bedeutet, dass Klient:innen mehr als eine Droge oder Drogenart entweder gleichzeitig oder nacheinander konsumieren. Mehrfachabhängigkeiten und co-morbide Störungen – eine Sucht etwa in Kombination mit Depression und Ängsten – sorgen häufig für komplexere und längere Beratungsverläufe. Auch diese Entwicklungen müssen berücksichtigt werden.

Was muss geschehen, damit sich daran etwas ändert?
Simone Wiezcorek: Wenn die Politik wahrnimmt, dass die Arbeit der Suchtberatung Gelder einspart, dann könnte sich etwas ändern.
Christian Horn: Wir brauchen schlicht mehr Zeit für die Menschen!

Eine bessere kommunale Finanzierung würde helfen, den wirtschaftlichen Druck, der sich bis ins Einzelgespräch auswirkt, zu verringern.

Holger Baumann: Dafür benötigen wir eine stabile, verlässliche, auskömmliche Finanzierung. Wir brauchen eine feste Zusage, dass sich die Politik auf Kommunal- und Landesebene für eine Aufstockung der Finanzhilfen, speziell für den Winter, einsetzt.

Welchen Beitrag leisten unsere Fachambulanzen für unsere Gesellschaft?
Simone Wieczorek: In einer Studie aus Bayern wurde errechnet, dass der social return of investment bei 1:17 Euro liegt. Das heißt ein Euro, der in die Beratungsstellen investiert wird, spart dem Gesundheitssystem 17 Euro Folgekosten. Selbst bei einer auskömmlichen Finanzierung der Beratungsstellen würde noch eine Einsparung zustande kommen. So eine Studie braucht es bundesweit.

Holger Baumann: Das zeigt: durch unsere Arbeit können Folgekosten verringert werden, die ansonsten die Gesamtgesellschaft tragen muss. Unsere Arbeit ist ein Beitrag für eine gesündere Gesellschaft. Sucht darf nicht weiter stigmatisiert werden, sondern muss als Erkrankung betrachtet werden. Dabei ist es essenziell, suchtkranken Menschen führzeitig, möglichst niedrigschwellig und kostenfrei Unterstützung anbieten zu können – um ein Fortschreiten der Erkrankung möglichst führzeitig vorzubeugen. Um das auch künftig anbieten zu können muss auch gezielt in den Nachwuchs investiert werden, um dem Fachkräftemangel begegnen zu können.

Christian Horn: Damit einher geht auch eine höhere Wertschätzung, die ich mir für die Zukunft wünsche – zum einen für die Arbeit, die Kolleg:innen in den Einrichtungen leisten (gekoppelt an eine bessere Bezahlung), vor allem aber eine aufrichtige Würdigung der Willenskraft und Entschlossenheit, die Betroffene und deren Angehörige immer wieder aufbringen, um sich einer Abhängigkeit entgegenzustellen. Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, dass diese Menschen nicht müde werden, dagegen zusteuern, sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen, sondern aufzustehen und weiterzumachen.

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